Mien Söhn, de Dokter (1983)
Speeldeel brillierte mit dem Kontrast von Ernst und Heiterkeit
“Mien Söhn, de Dokter” – erste Premiere der Spielzeit
Es wird oft behauptet, daß plattdeutsches Theater keine ernsten Stücke verträgt. Die Schleswiger Speeldeel bewies jetzt das Gegenteil. Mit „Mien Söhn, de Dokter“, einer "Komödie mit ernstem Hintergrund", hatte sie nicht nur ein ausverkauftes Haus, sondern auch großen Erfolg.
Werner Jungjohann begrüßte die Gäste. Er erwähnte die Reise nach Belgien und warb in diesem Zusammenhang neue Fördermitglieder; schon jetzt umfaßt die Speeldeel etwa 200 Mitglieder.
Das Stück heißt eigentlich "Die Promotionsfeier" und stammt aus der Feder von Heinz Meising. Olly Gröning hat es mit viel Einfühlungsvermögen ins Plattdeutsche übertragen, wobei nicht eine einfache Übersetzung gefordert wurde, sondern eine subtile Übertragung in niederdeutsche Denk- und Sprechweise. Das ist ihr bestens gelungen, und so nimmt es nicht wunder, dass ihr auch die weibliche Hauptrolle übertragen wurde. Sie spielt die Mutter der Familie Asmussen, die mit allen Mitteln versucht, der ausgleichende Mittelpunkt zu sein. Und Ausgleich und Vermittlung sind sehr nötig zwischen den verschiedenen Familienmitgliedern - sie schafft es mit natürlicher Mütterlichkeit und ehrlicher Hingabe. Gestik, Sprache und Darstellung von Frau Gröning waren makellos, so. daß man ihr rundherum den großen Erfolg bestätigen kann.
Das Stück lebt vom Kontrast zwischen Ernst und Heiterkeit. Zwar wurde die Situationskomik weidlich ausgenutzt, aber der unerbittlichen Austragung des Konflikts zwischen den verschiedenen "Schichten" - auch heute noch! - konnte es dem Publikum, gelegentlich kalt den Rücken herunterlaufen. An der Darlegung dieses Konfliktes hat Jens Larssen das Hauptverdienst, der sich voll und ganz ausspielte. Sein "Vater Asmussen", zuerst überstolz auf seinen Sohn, dann der gebrochene, aber nicht unterzukriegende Busfahrer - das war schon eine Meisterleistung. Sehr gut stellte er dar, wie sich mit jedem der drei Kinder der Konflikt langsam aufbaute und dann zum Bruch eskalierte. Und die Versöhnung mit Gerd war wohl auch nur dem Alkohol zuzuschreiben, der in reichlichen - zu reichlichen? - Strömen floß. Den Gerd spielte Kalli Walter, erfrischend, echt, natürlich, geradezu - auch ihm glaubte man jedes Wort. Gegen ihn fiel seine Schwester Helga (Birte Nissen) etwas ab: Sie könnte aus ihrer Rolle noch mehr das Weibliche herauskehren.
Den "Doktor", den studierten Sohn, spielte Horst Jacobs, er gefiel besonders in der Szene, in der er seine Fehler der Familie gegenüber einsieht. Etwas undankbar dann doch, daß er das Haus im Unfrieden verläßt; Jacobs holte viel Menschliches aus seiner Rolle heraus. Ausgezeichnet stellte Reimer Wischmann den Arbeitskollegen Paul dar; ehrlich und doch gegenüber dem "Dickkopf" Richard so hilflos - eine hervorragende Studie! Eberhard Vogtherr als "een Kümmelton" spielt ausgezeichnet den betrunkenen, durchgefallenen Doktoranden, er müßte mehr auf Deutlichkeit der Sprache achten: Das "Genuschelte" lag nicht nur am Schweinebraten!
Das Stück hat gewisse Längen, im 6. Bild häuft sich z. B. die Problematik fast über die Maßen. Aber sehr gut geriet die Exposition: Man erfuhr die spannungsgeladene Problematik, die sich durch das Stück hindurchzog. Regie führte Hauke Stieger, der die Schauspieler zwar an die Zügel nahm, ihnen aber doch viel Raum zum Ausspielen ließ. Helmut Utermann hatte ein hübsches und praktisches Bühnenbild geschaffen, das in den sechs Bildern - die den Ablauf von Nachmittag und Abend deutlich machten, nicht langweilig wurde. Heike Walter hatte die Masken und Frisuren ansprechend vorbereitet; die Technik stand unter der Regie von Konrad Hansen. Edna Maaske als Souffleuse brauchte kaum einmal einzugreifen. Alle Mitwirkenden - auf und hinter der Bühne - konnten langanhaltenden, berechtigten Beifall entgegennehmen, es gab viele Vorhänge und reiche Blumengrüße.
Reimer Pohl
Schleswiger Nachrichten, 18.10.1983
Lachen und Klatschen an den unpassendsten Stellen
Plattdeutsches Theater nur als "Klamotte" möglich?
Schleswig. Wie es schon mancher versucht hat, auch ernste Probleme in plattdeutscher Fassung auf die Bühne zu stellen, so war auch Olly Gröning der Gedanke gekommen, das ernste Volksstück "Die Promotionsfeier" von Heinz Meising ins Plattdeutsche zu übertragen und damit der "Schleswiger Speeldeel" die Aufgabe zu geben, ein Gegenwartsproblem unter dem Namen "Mien Söhn, de Doktor" auf die Bretter zu bringen.
Selbst Trägerin einer der Hauptrollen als "Modder" hat Olly Gröning sich damit ein großes Verdienst erworben. Sicher im Text, natürlich und glaubhaft in der Darstellung präsentierte sie sich.
Nicht zu schlagen in der Publikumswirkung war - wie zu erwarten - Jens Larssen, „de Vadder". Es war eine ihm auf den Leib geschriebene Rolle. Dieser Busfahrer mit dem unverkennbaren Talent als Schankwirt war in seinem Stolz auf seinen Sohn Eberhard, dem in seinen Augen einzigen seiner Kinder, das es "zu etwas gebracht" hatte, ebenso wie in seinem Schmerz über die nicht akzeptierten in Bütten "behämmerten" Visitenkarten und in der Endreaktion: "Ik will mi nur noch besupen", so echt, daß ihm wohl der Hauptanteil an dem brausenden Schlußbeifall zukam.
Schade nur, daß einem großen Teil der Zuschauer der Ernst dieser Familientragödie nicht recht zu Bewußtsein zu kommen schien. Man lachte und klatschte an den unpassendsten Stellen, damit bekundend, daß für viele plattdeutsches Theater nur als Komödie und Klamotte gewertet wird.
Neben Larssen verdient auch Kalli Walter als Gerd großes Lob. Zwar hatte er nach Ansicht seines "primitiven" Vaters nicht das Zeug zum Studieren, aber er und seine Schwester Helga, die von Birte Nissen als tüchtige Friseuse dargestellt wurde, waren zu bedauern, wenn ihnen der Vater vorhielt, es nicht "zu mehr" gebracht zu haben. Reimer Wischmann, im Programmheft liebevoll vorgestellt, hatte als Vadder Asmussens Arbeitskollege Paul außer einigen leidenschaftlichen Schlichtungsversuchen und als standfester "Saufkumpan" nicht allzu viel zum Geschehen beizutragen. Immer wieder aber ist sein Dithmarscher Platt zu loben.
"Toseggersch" Edna Maaske hatte ein tüchtiges Stück Arbeit zu leisten, wie es wohl bei jeder Premiere der Fall ist.
Nun zu dem Doktoranden Eberhard (Horst Jacobs). Er, dessen Urahn noch Analphabet war, hatte nun mal den Grips zum Doktor, konnte er doch schon als Kind vierstellige Zahlen lesen! Horst Jacobs verstand es, die innere Wandlung vom leichtsinnigen Studenten zum sich schämenden Sohn glaubhaft darzustellen. Fühlte er sich doch zum Schluß als "schietiger Köter", und sein "Kümmelton" (Eberhard Vogtherr) hatte alle Mühe, ihn aus dem "Kater" wieder herauszureißen, wenn auch nur mit Alkohol, der freilich in allen Abarten fast zu reichlich floß.
Hauke Stieger hat in der Regie die sechs Bilder bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Vielleicht müßte doch der Rotstift noch tüchtig in Aktion treten. Viel zu dem ausgezeichneten Gesamteindruck trug auch das Szenenbild von Helmut Utermann bei.
Das beifallsfreudige Publikum feierte die Darsteller mit Blumen und vielen Vorhängen.
Elfriede Kollmann
Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 18.10.1983
„Mien Söhn, de Dokter"
Schleswiger Speeldeel. Basierend auf der hochdeutschen „Promotionsfeier", ins Niederdeutsche verlegt von Olly Gröning (der Mutter im Stück), war dies die dritte Vorstellung dieser Uraufführung. Eine bis ins Letzte ausgefeilte, absolut „stimmige" Inszenierung. Im Ensemble kein einziger Ausfall. Einem Großteil des Publikums wurde erst sehr spät klar, welcher traurigen Geschichte sie da beiwohnten. Als „Wiedergutmachung" (?) gab es am Ende Riesenbeifall. Hochverdient!
Norderstedter Theatertage 1983
Norderstedter Zeitung, 23.11.1983
De Rullen un de Speelers
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