Vun Müüs un Minschen
"Vun Müüs un Minschen"
John Steinbecks "Klassiker" op Platt
Die Speeldeel bewährte sich in einer schweren Aufgabe
Die Schleswiger Speeldeel hatte zu einer Premiere eingeladen, und wie immer war das Haus bis auf den letzten Platz besetzt. Darüber zeigte sich Olli Gröning in ihrer Begrüßung erfreut; unter den Gästen, die sie willkommen hieß, befanden sich auch die Herren Hingst vom NDR und Konrad Hansen, Direktor des Ohnsorg-Theaters.
Olli Gröning wies auf das Symbol der Speeldeel hin: die fröhliche und die traurige Maske. Das Leben besteht, so sagte sie, aus Freude und Schmerz, aus Fröhlichkeit und Leid, und beides solle auf der Bühne dargestellt werden. Deshalb habe man sich nun einmal ein ernstes Stück vorgenommen, "Vun Müüs un Minschen" nach dem Bühnenstück (ursprünglich Roman) "Of Mice and Men" von John Steinbeck, 1937 erschienen. Ins Niederdeutsche übertragen hat es Walter Kreye.
Es war ein schweres Unterfangen, das sich die Speeldeel-Leute vorgenommen hatten, drei Schwierigkeiten mußten überwunden werden. Einmal erwarten manche Besucher vom plattdeutschen Theater immer noch Heiterkeit und Klamauk - manche Lacher an der falschen Stelle bewiesen das. Zum zweiten lebt das Stück fast nur von Dialogen, Handlung ist kaum vorhanden; die dramatischen Höhepunkte am Ende des 3. und 6. Aktes sind einzelne Ausnahmen. Und dann ist das Stück in dieser Form mit drei Stunden Dauer sehr lang; hier sollte noch der Rotstift angesetzt werden: ohne Substanzverlust könnten manche Passagen gestrichen werden, z. B. im 2. Akt.
Die Dialoge mußten also von Gesten und Gebärden unterstützt werden, und da ist an erster Stelle Gerhard Pohl zu nennen, der den bärenstarken, aber geistig zurückgebliebenen Hinni großartig spielt. Seine tapsige Zärtlichkeit, die viele Tiere und einen Menschen, das Leben kostet, spiegelt die große Diskrepanz zwischen Körper und Geist wider - das kann der Schauspieler überzeugend ausdrücken. Sein Freund und Beschützer und doch in gewissem Maße von ihm abhängig - ist Schorsch, von Volker Schwarz. treffend dargestellt. Er lamentiert immer wieder, welch glückliches Leben er ohne Hinni führen könne, braucht ihn aber doch, um seine Führungskraft und Intelligenz zu beweisen. Auch Schwarz kann mit seiner Leistung voll überzeugen. Werner Jungjohann spielt mit Hingabe und sehr menschlich den Krischan, gutmütig und hilfsbereit - auch er läßt sich von den utopischen Zukunftsvisionen anstecken und will mitmachen.
Heinz Timm stellt einen echten "Buern" auf die Bühne, "vull in Ordnung", der Gerechtigkeit, Ordnungssinn und Menschlichkeit gut zu verbinden weiß. Arno Vogel spielt seinen Sohn Kalli, forsch, unbeherrscht, fast brutal. Einige differenzierte Nuancen täten seinem Spiel gut, ebenso der Darstellung von Wiebke Seegebarth, die "Kalli sin Fru" ist. Die weiblichen Verführungskünste oder -versuche nimmt man ihr wohl ab, vielleicht auch ihre Sehnsucht, "en Minsch, mit de ick snacken kann". Aber der Unterschied zwischen beidem gerät zu schwach. Kalli Walter paßt gut in die Rolle des Großknechts Garms, der sich seiner Pflichten bewußt ist und doch zwischenmenschliche Töne anschlagen kann - eine überzeugende Darbietung! Konrad Hansen und Kai Boysen stellen die Landarbeiter Kallsen und Witte dar, echt und glaubhaft in der Mischung zwischen Egoismus und Kameradschaftlichkeit.
Herrlich die Sprache von Horst Jacobs: als "Wasser-Polak" muß er ein breites masurisches Ostpreußisch sprechen, was ihm prächtig gelingt. Auch seine Darstellung des Außenseiters, der um Anerkennung ringt, verdient Anerkennung. Alle Schauspieler sprachen ein ausgezeichnetes Plattdeutsch, vielleicht war Wiebke Seegebarth in den letzten Reihen nur schwer zu verstehen.
Hauke Stieger hatte das Stück einstudiert. Er setzte ganz auf die Darstellungskraft seiner Schauspieler und auf die Dialog-Sprache - und hatte Erfolg da mit! Helmut Utermann hatte die schwierige Aufgabe übernommen, praktisch vier Bühnenbilder herzustellen: mit raffinierter Verwandlungstechnik gelang ihm das hervorragend. Heike Walter hatte die Masken und Frisuren zu betreuen, Konrad Hansen war für die Technik verantwortlich, und als sichere Souffleuse fungierte Edna Maaske.
Lang andauernder, herzlicher Beifall des vorwiegend jungen Publikums, ein wahrer Blumensegen und viele, viel Vorhänge belohnten eine sehenswerte Aufführung, die am 23. März wiederholt wird.
Reimer Pohl
Schleswiger Nachrichten, 25.2.1986
Den Klassenunterschied demonstrierte am Abend sehr deutlich: die Schleswiger Speeldeel mit ihrer eindrucksvollen Aufführung "Vun Müüs un Minschen", der niederdeutschen Version des Steinbeck-Dramas. Eine sehr dichte, überaus packende Inszenierung des von Walter A. Kreye ins Ostelbische verlegten Stückes.
Regisseur Hauke Stieger, der mit vier atmosphärisch gelungenen Bühnenbildern stark geforderte Helmut Utermann und die zehn ausgezeichneten Darsteller (mit dem realistischüberzeugenden, anrührenden Hinni Gerhard Pohls und dem intensiv-verhaltenen Schorsch des Volker Schwarz an der Spitze) sorgten für einen aufregenden Theaterabend mit Langzeitwirkung. Im ausverkauften Festsaal am Falkenberg gab es zu Recht begeisterten Applaus. Nach dem Boulevard-Ereignis "Zu dir oder zu mir?" erlebten die Norderstedter Amateurtheater- Tage hier ihren zweiten Höhepunkt.
JÖRG-PETER HAHN
Norderstedter Zeitung, 21.11.1986
"Vun Müüs un Minschen" John Steinbecks "Klassiker" op Platt
Aus der NDR-Sendung "Von Binnenland und Waterkant" vom 24.2.1986
Ums Theater geht es in unserem nächsten Beitrag, um plattdeutsches Theater in der Stadt Schleswig. Dort gibt es ja gleich zwei niederdeutsche Bühnen. Die eine besteht seit 40 Jahrenm, die andere seit knapp 25 Jahren und die nennt sich die „Schleswiger Speeldeel".
Bereits zum 2. Mal haben sich Amateurschauspieler der Speeldeel an ein sogenanntes schwieriges Stück herangewagt. Ein Stück, das man sonst nicht so ohne weiteres auf dem Spielplan der niederdeutschen Bühnen findet.
Nach dem Stück „Johnny Belinda" stand nun „Vun Müüs un Minschen" auf dem Programm. ein Schauspiel von John Steinbeck in der plattdeutschen Bearbeitung von Walter A. Kreye.
Premiere war am vergangenen Wochenende. Ich bin nach Schleswig gefahren und habe mir die Aufführung dort angesehen und finde es ganz beachtlich, was die „Schleswiger Speeldeel" da auf die Bretter des Stadttheaters gebracht hat. „Vun Müüs un Minschen" stellt ja, was den Text angeht und die Umsetzung, schon einige Anforderungen. Das gilt vor allem auch für Amateurtheater, für Schauspieler, die im Alltag ihrem Beruf nachgehen und erst in der Freizeit dazu kommen, ein Theaterstück einzuüben.
Es geht in dem Schauspiel um die beiden Landarbeiter Hinni und Schorsch. Beide ziehen von Hof zu Hof, um sich ein bißchen Geld zu verdienen. Wanderarbeiter auf der Suche nach Arbeit. Die Umstände ihres Lebens sind bedrückend, immer wieder müssen sie sich neu verkaufen und träumen doch nur davon, eines Tages eine eigene kleine Bauernstelle zu haben. Zu zweit wollen sie diese bewirtschaften, aber Hinni und Schorsch sind eigentlich ein sehr ungleiches Paar. Schorsch ist intelligent, mutig, zupackend und zielstrebig, Hinni ist ein zwar gutmütiger, aber einfältiger Tölpel. Sein Traum von der Unabhängigkeit erschöpft sich im Wunsch nach eigenen Kaninchen, die mag er, weil sie so schön weich sind und sich widerstandslos streicheln lassen. Mit den Menschen hat es Hinni da schon schwieriger. Die meisten haben Angst vor ihm. Er ist unheimlich in seiner Einfalt und hat unglaubliche Körperkräfte. Grund genug für die meisten, ihm aus dem Weg zu gehen. Nur Schorsch weiß mit ihm umzugehen. Beide verbindet eine fast schon symbiotische Beziehung. Schorsch hat jemanden, um den er sich sorgen kann, und Hinni weiß, wer für ihn da ist. Soweit zu dem Inhalt des Stückes.
Gleich noch, daß das Ende nachher sehr tragisch ausgeht, ein Happy-End gibt es nicht. Das Stück ausgesucht und für die Schleswiger Speeldeel bearbeitet und inszeniert hat es dessen künstlerischer Leiter Hauke Stieger. Ich fragte ihn, warum er sich ausgerechnet für dieses Stück entschieden hat.
H.S.: Es gibt dafür zwei Gründe. Einmal den Grund, daß ich als Jugendlicher hier in Schleswig im Profitheater von Mäusen und Menschen gesehen habe und derartig beeindruckt war und dann durch die Zeitung erfuhr, daß das Ohnsorg Theater in der Übersetzung von Walter A. Kreye jetzt auch „Vun Müüs un Minschen“ bringt. Da bin ich dann vor zwei Jahren nach Hamburg gefahren, hab' mir die Vorstellung angesehen und war derartig beeindruckt, daß ich meinte, das könnten wir vielleicht auch bringen. Da wir schon seit einiger Zeit uns bemühen, nicht nur niederdeutsche Komödien zu bringen, und wir wirklich auch das Bedürfnis nicht nur bei uns spüren, bei den Spielern, sondern auch bei den Zuschauern, daß sie nicht nur Komödien sehen wollen, habe ich es einfach gewagt, dieses Stück in unser Programm mit hineinzunehmen.
R.: Das Stück von Menschen und Mäusen spielt ja im Original, so wie J. Steinbeck es angelegt hat, in Amerika. Es kommt darin ein Farbiger vor, ein Neger. Die ganze Geschichte spielt auf dem Lande in Amerika. Sie haben vorhin gesagt, daß Sie das Stück auch spielbar machen wollten für die Zuschauer hier in Norddeutschland. Welche Kniffe muß man denn da anwenden, um dieses Stück akzeptabel zu machen, spielbar zu machen für eine Speeldeel in Schleswig-Holstein?
H.S.: Ich weiß nicht, ob der Ausdruck Kniffe richtig ist. Es geht aber darum, sich die Frage zu stellen, ist Niederdeutsch eine eigenständige Sprache oder, und das würde dann bedeuten, daß man die gesamte Literatur niederdeutsch spielen könnte, oder aber auch, wenn Weltliteratur wie eben von Mäusen und Menschen von J. Steinbeck ins Niederdeutsche übertragen wird, ob es nicht dann besser ist und auch für den Zuschauer zugänglicher wird, wenn es in den niederdeutschen Raum verlegt wird. Ich meine, das hat Walter A. Kreye gut gelöst damit, daß er das Stück eben auf die Zeit um die Jahrhundertwende verlegt hat und in die ostelbischen Güter, die vielleicht im Ansatz so ähnlich sind wie damals die großen Farmen im Westen Amerikas.
Die Umsetzung ist der Schleswiger Speeldeel in großen Zügen hervorragend gelungen. Volker Schwarz als Schorsch und Gerhard Pohl als Hinni haben es verstanden, den Stoff konkret und einfühlsam zu gestalten. Die Verlagerung des Spielortes nach Norddeutschland haben sie überzeugend gebracht. Unterstützt wurden sie von einer homogenen Leistung des Gesamtensembles und von dem ausgesprochen gut komponierten Bühnenbild von Helmut Utermann. Die Schleswiger Speeldeel hat bewiesen, daß auch eine plattdeutsche Amateurgruppe sogenannte schwierige Stücke meistem kann. Der lang anhaltende Beifall des Schleswiger Publikums gab ihnen recht und sollte anderen Schauspielgruppen Mut machen, mehr zu wagen als bis jetzt.
Aus der NDR-Sendung "Von Binnenland und Waterkant"
vom 24.2.1986
Versuch der „Speeldeel" glückte
Publikum von Steinbeck-Tragödie auf „Platt" begeistert
HUSUM. Daran ist kein Zweifel: Es war eine grandiose schauspielerische Leistung, die die „Schleswiger Speeldeel" am Dienstagabend in der Husumer Kongreßhalle zeigte. Ihre Aufführung „ Vun Müüs un Minschen", einem „Schauspeel in 6 Törns vun John Steinbeck", ließ vergessen, daß es Laienspieler waren, die dort auf der Bühne agierten, •
Auch ein weiteres wird man, nicht in Zweifel ziehen können: Die plattdeutsche Sprache hat im Volksbewußtsein ihren festen Platz zurückgewonnen. An Bemühungen, das Plattdeutsche literaturfähig zu machen, hat es seit Johann Heinrich Voß nicht gefehlt. Nicht zuletzt hat auch das niederdeutsche Theater daran seinen Anteil. Es versucht, auch heute noch, immer wieder Stücke mit literarischem Anspruch anzubieten. Es möchte wegkommen von dem Klischee,dem Publikum ausschließlich leicht faßliche, unterhaltsame Lustspiele zeigen zu müssen. :
Mit bemerkenswertem Erfolg nahmen sich auch niederdeutsche Autoren nach dem Kriege beginnend bis in die heutige Zeit hinein in ihren Werken sozialer Probleme an, rangen thematisch mit dem Zeitgeist. Auch von hier kamen neue Impulse in das niederdeutsche Theater hinein.
Einer anderen Thematik jedoch kann man nicht unkritisch begegnen: der der Übertragung aus einem anderen Kulturbereich in das Plattdeutsche. Das literarische.Bemühen um die Hebung der niederdeutschen Sprache erscheint dort problematisch, wo die sprachlichen und geschichtlichen Wurzeln verlassen werden. Plattdeutsch ist — auch heute noch überwiegend in ländlichen Bereichen - eine Verkehrssprache des Volkes, die vor allem jm alltäglichen Umgang angewendet wird. Sie hat ihre eigene sprachliche Gesetzmäßigkeit, wie sie auch andererseits in hohem Maße von der Volksmentalität geformt wird. Literatur nun aus einem anderen Sprach- und Erlebensbereich ins Plattdeutsche zu übertragen — wie beispielsweise John Steinbecks Roman „Von Mäusen und Menschen"— beinhaltet die Gefahr, einen fremden, exotischen Reis einer heimischen, urwüchsigen Pflanze aufzupropfen.
John Steinbecks Roman spiegelt. die tiefe Sehnsucht amerikanischer Landarbeiterwider, einmal ein Stückchen Boden ihr eigen nennen zu können. Der brutale Schluß symbolisiert aber, daß diese Sehnsucht ein Traum bleiben muß, der an der sozialen Wirklichkeit des amerikanischen Lebens der 30er Jahre scheitert.
Walter A. Kreye verlegte in seiner plattdeutschen Bearbeitung den Handlungsort von der steinbeckschen südkalifornischen Großfarm auf einen ostelbischen Baunerhof. Dabei Unterstellt er stillschweigend das Vorhandensein identischer sozialer Probleme. Ohne weiteres aber übernehmen ließ sich die Zentralgestalt Lennie Smalls, dieses bärenstarken Tölpels mit. dem Spatzengehirn. .Bei Kreye heißt er Hinni. Die ungeschlachte Zärtlichkeit dieses kindlich-tumben Riesen eskaliert zu Vorgängen von menschlicher Tragik.
Menschen wie ihn gibt es überall. Es ist zweifellos die schwierigste Rolle des ganzen Stückes, die Gerhard Pohl, als Hinni zu spielen hatte. Zu schmal ist bei dieser Tölpel-Figur der Grat zwischen Possenreißer und armseliger, in der Tragödie endender Menschlichkeit. Volker Schwarz bewältigte die Rolle des Schorsch, des Freundes und Beschützers von Hinni. Großartige Leistungen zeigte er in den Traumpassagen vom eigenen Hof. In diesen sehr verhalten gespielten lyrischen Szenen wurde aber auch deutlich, welch kunst- und klangvolles Instrument die niederdeutsche Sprache ist, die selbst feinste Zwischentöne wiederzugeben vermag.
Besonders hervorzuheben ist noch die Spielweise von Werner Jungjohann, der den gutmütigen Krischan spielt und Kalli Walter als Großknecht Garms, der dieser Rolle sehr warmherzig-menschliche Züge verleihen konnte.
Das Publikum hatte mit literatur-theoretischen Problemen keine Schwierigkeiten. Es akzeptierte den plattdeutschen Steinbeck mit langanhaltendem begeisterten Applaus, in den sich Fußgetrampel und sogar vereinzelte „Bravo"-Rufe mischten.
Jürgen Dietrich
Husumer Nachrichten