Hans Brüggemann
Tragödie “Hans Brüggemann" bei der Speeldeel
Suche nach der Wahrheit
Zum Jubiläum des 25jährigen Bestehens hatte die Schleswiger Speeldeel als Festaufführung die niederdeutsche Tragödie "Hans Brüggemann" von Hans Ehrke gewählt. Und nach diesem Abend scheint der Streit, ob das Plattdeutsche ernste Stücke vertragen kann, zunächst beigelegt: Man hat selten einen so reichen Beifall und so viele Vorhänge erlebt. Wenn es mehr solche ergreifenden Stücke gäbe, könnte das plattdeutsche Theater allein davon leben.
Die Tragödie, von Hans Ehrke (1889-1975) im Jahre 1930 geschrieben, gibt den Konflikt zwischen der allmächtigen katholischen Kirche und dem Individuum wieder. Das Individuum, hier der Künstler, der sich nur seiner Kunst verpflichtet fühlt, gerät nicht nur durch die Machthaber in Bedrängnis, sondern auch dadurch, daß er mit sich selbst, seinem Werk nicht zufrieden ist. Künstlerischer Anspruch und menschliche Gebundenheit klaffen weit auseinander.
Dieser Konflikt, der bis heute nichts an Aktualität verloren hat, wird durch die Schauspieler und ihre Darstellungsweise überzeugend ausgedrückt. Da ist in erster Linie Jens Larssen zu nennen, der den Hans Brüggemann überzeugend und sehr echt darstellt. Die Suche nach der Wahrhaftigkeit, das Unterworfensein unter das künstlerische “Muß” – „Kunst is keen Vergnögenr“ - und den Meister, der über seinem Werk das "Leben" vergißt; das wußte der Schauspieler voller Dramatik zu verkörpern. Seine Suche nach der Wahrheit durchdringt ihn so vollkommen, daß er sie auch in seinem Kunstwerk - Leiden, Kreuz und Tod - darstellt; die von den kirchlichen Oberen geforderten Heiligen "verstellen den Weg zu Gott." Ergreifend der Schlußakt, in dem er sich der absoluten Blindheit ergeben muß.
Ihm zur Seite steht Wiebke Seegebarth mit dem bezeichnenden Namen “Düweke Engel” - für den Menschen und den Künstler Brüggemann der Engel, der aber - ohne es zu wollen - das teuflische Werk der Blendung vornimmt. Die untrennbare Mischung von liebender Frau, prophetischer Seherin und Werkzeug des Bösen nimmt man ihr ab - eine beeindruckende künstlerische Leistung! Sie ist es, die den Meister neu inspiriert, deren Leben er dann in der Gestalt der Eva verewigt hat - Anlaß zu Streit, Verdammung und Schuld.
Die beiden Mönche Jannis und Marten, gar nicht so heilige Klosterbrüder, werden von Volker Schwarz und Rainer Buck hervorragend dargeboten. Menschliche Schwächen und flammender Fanatismus sprechen aus ihnen; besonders Volker Schwarz besitzt auch in Blick und Gestus die nötige Dramatik. Die Gesellen Brüggemanns, Jan von Groningen und Peter Wahn, spielen Dietrich Dippel und Kai Boysen. Während Peter Wahn der naive, gehorsame Künstlergeselle ist, der das tut, was ihm gesagt wird, sich sonst aber treiben läßt, spielte Johann von Groningen als bedeutender Mitarbeiter und Nachfolger Brüggemanns eine wichtige Rolle. Sicherlich könnte man diesen Part noch lebendiger und eindringlicher gestalten.
Brüggemanns Mutter wird von Olly Gröning sehr echt, sehr mütterlich, sehr weise dargestellt. Zwar versteht sie nicht den Konflikt ihres Sohnes, aber für sie schließt sich der Kreis: Wie sie ihr Kind vor vielen Jahren an der Hand geführt hat, so tut sie es jetzt wieder - eine eindringliche Gestaltung. Wulf von Pogwisch, der ritterliche Verbidder, der eigentliche Auftrag- und Geldgeber, wird von Werner Jungjohann aufrecht, ehrlich und lebensecht dargestellt. Er scheint zu ahnen, daß mit dem Altar-Blatt ein einmaliges Kunstwerk geschaffen wurde, das Brüggemann und seine Zeit weit überdauern würde.
Den Propsten Berenth spielt Harald Koppe, recht typisch im Verhalten: einerseits - andererseits. So lawiert er sich durch die Problematik, ohne klar Stellung zu beziehen. Die beiden Husumer Ratsherren sind Friedrich Brix und Wolfhard Schulz; die kleinen unbedeutenden Rollen führen sie so gut aus, wie es eben geht.
Alle Spieler müßten sich um bessere und deutliche Aussprache bemühen. Besonders im ersten der fünf Akte war vieles nicht zu verstehen. Die Kulissen - das passende Bühnenbild schuf Helmut Utermann - schlucken doch vieles weg.
Hauke Stieger hatte kluge Regie geführt, Maske und Frisuren stammten von Heike Walter, und eine - premierenhaft geforderte - Souffleuse war Edna Maaske. Die geschnitzten Figuren hatten Inga Winkler, Peter Lange und Stefan Noffke geschaffen. Die sehenswerte und beeindruckende Aufführung wird während des Schwahlmarktes im Dom mehrfach wiederholt.
Reimer Pohl
aus: Schleswiger Nachrichten
Schuldlos schuldig geworden
Das Spiel um Hans Brüggemann - gesehen in der Stadthalle Walsrode
(mü). Hans Brüggemann in Walsrodes Stadthalle - da stand er, riesig, mächtig, leibhaftig. Fast 150 Zuschauer kamen am Samstagabend in den großen Saal der Halle, um das plattdeutsche Trauerspiel rund um den größten Sohn Walsrodes, den Bilderschnitzer Hans Brüggemann, mitzuerleben. Die "Schleswiger Speeldeel", allesamt Laienschauspieler von der Schlei, beeindruckte mit einer hervorragenden Aufführung, wie man sie selten mundartlich in Walsrode gesehen hat. Langanhaltender Beifall des engagiert mitgehenden Publikums war Dank für diese über zweistündige Vorführung.
Der Verdener Hans Ehrke hat diese Tragödie rund um Brüggemann geschrieben, die den Konflikt zwischen der allmächtigen katholischen Kirche und dem Künstler wiedergibt. Brüggemann gerät aber nicht nur durch die 'Machthaber' in Bedrängnis, sondern auch mit sich selbst, weil er mit seinem Werk nicht zufrieden ist. Dieser immerwährende Konflikt wird durch die Schauspieler und vor allen Dingen durch ihre Darstellungsweise überzeugend dargestellt.
Jens Larssen, Gastwirt aus dem kleinen Fahrdorf direkt an der mächtigen Schlei gegenüber Schleswig, ein urwüchsiger Typ, der den Hans Brüggemann vortrefflich darzustellen vermochte, drückte dem Stück seinen Stempel auf. Der Meister, der über sein Werk das Leben vergißt, wurde durch ihn lebendig. "Manchmal vergesse ich die ganze Welt um mich herum", sagt er später bei einem Gespräch im Stadthallen-Restaurant. Brüggemanns Suche nach der Wahrheit durchdringt ihn so vollkommen, daß er sie auch in seinem Kunstwerk - Leiden, Kreuz und Tod darstellt. Ergreifend der Schlußakt, in dem er sich der absoluten Blindheit ergeben muß.
Larssen zur Seite steht Wiebke Seegebarth, die die Düweke Engel spielt, eine Frau, die ihren Brüggemann liebt, die alles für ihn tut. Die aber schuldlos schuldig wird, indem sie ihm, dem Künstler, die Tropfen auf die Augen bringt, die Hans Brüggemann blenden. Düweke Engel inspiriert den Meister immer wieder neu, so daß er ihr Leben in der Gestalt der Eva verewigt. Wiebke Seegebarth beeindruckt in ihrer ergreifenden Rolle das Publikum in der Stadthalle besonders im letzten Akt, spielt die Düweke Engel so hautnah, daß es dem Betrachter tief hineingeht. Es wurde mucksmäuschenstill im großen Saal, als sie die Abschiedsworte sprach, knieend auf dem Boden der Bühne, die einen Raum des Klosters Bordesholm darstellte, wo Brüggemann seinen berühmten Altar schnitzte, der heute im Dom zu Schleswig steht.
Die beiden Mönche Jannis und Marten, gar nicht so heilige Klosterbrüder, Verschwörer gegen den Meister, wurden von Volker Schwarz und Rainer Buck überzeugend dargestellt. Die Gesellen Brüggemanns, Jan von Groningen und Peter Wahn, spielten Dietrich Dippel und Kai Boysen. Brüggemanns Mutter tauchte erst am Ende des Stücks auf. Olly Gröning spielte die alte Frau eindrucksvoll, tief religiös und sehr mütterlich. Zwar versteht sie nicht den Konflikt des Sohnes, aber für sie schließt sich der Kreis wieder: Wie sie ihr Kind vor vielen Jahren an der Hand geführt hat, so tut sie es heute wieder - eine eindringliche Szene. Wulf von Pogwisch, der ritterliche Verbidder, wird von Werner Jungjohann als ein ehrlicher Mensch dargestellt, der schon damals zu ahnen schien, was für ein Kunstwerk da im Bordesholmer Kloster geschaffen wurde. Die Rolle des Propsten Berenth litt ein wenig unter einer leichten Krankheit des Schauspielers Harald Koppe, der sich aber große Mühe gab. Friedrich Brix und Wolfhard Schulz tauchten als Husumer Ratsherren nur in kurzer Passage auf.
Eine Aufführung der "Schleswiger Speeldeel", die ans Herz ging.
Walsroder Zeitung
26.10.1987
25 Jahre Schleswiger Speeldeel
Begeisterung für „Hans Brüggemann“
Schleswig. 25 Jahre „Schleswiger Speeldeel“! Grund genug, es festlich zu begehen, wie es Uwe Petersen in seinen Begrüßungsworten an die Gäste ausdrückte. Der Vorsitzende des Bundesdeutschen Amateurtheaters war gekommen sowie der Bürgermeister und Pastor Körber. Vertreter der Bühnen aus Holland und aus Schleswig-Holstein füllten die Reihen ebenso wie ehemalige Mitglieder.
Uwe Petersen schilderte denAnfang der Bühne mit 15 Spielern, deren Repertoire sich zunächst auf Einakter und Komödien beschränkte. Später folgten dann Volksstücke. Ab Mitte der 60er Jahre wurden dann Gastspielreisen nach Holland, Belgien, Finnland und Berlin veranstaltet. — Unter der Regie von Annemarie Dienesen begann man mit der Aufführung ernster Stücke („Füer“, „Krut gegen den Dod“). Dem Glauben, daß die „ernsten“ Stücke im Plattdeutschen keine Resonanz hätten, strafte die Begeisterung für die Tragödie „Hans Brüggemann“ von Hans Ehrke Lügen. Mit gespannter Aufmerksamkeit folgten die Hörer dem in fünf Bildern dargestellten Geschehen, in denen es um die Zweifel und Nöte des Schnitzers Brüggemann ging, in die Ereignisse aus der Reformationszeit in unserer engeren Heimat (Husum, Bordesholm) hineinspielten und in denen die Rede war von Ketzerei und Aberglauben.
Die gut ausgewählten Darsteller der Laienbühne bewegten sich, zeitgemäß kostümiert und maskiert (Heike Walter), unter der umsichtigen Regie von Hauke Stieger und in einer zeitgetreu nachgestellten Umgebung (Helmut Utermann) sehr gekonnt.
Allen voran war Jens Larssen ein ausgezeichneter - Darsteller des nordischen Schnitzers. Nicht minder großartig, anrührend und treffend in Spiel und Ausdruck Wiebke Seegebarth als Düweke. Sehr glaubhaft Dietrich Dippel und Kai Boysen, die Gesellen — übrigens neu in der Spielgemeinschaft.
In altbewährter Darstellung Werner Jungjohann als Wulf von Pogwisch. Auch neu bei der Speeldeel Harald Koppe als Probst.
Noch etwas unsicher, weil ebenfalls neu, die beiden Ratsherren: Friedrich Brix und Wolfhard Schulz. Als ausgezeichnete Typen agierten die beiden „Mönche“ Jannis (Volker Schwarz) und Marten (Rainer Buck), wobei die Verschlagenheit und Verführungskunst an der ahnungslosen Magd dem Jannis mit seiner langen Spielerfahrung besonders gut gelang. Olly Gröning bot in der Verkörperung der alten Mutter eine ausgezeichnete Charakterstudie, außer dem war sie als einzige gut zu verstehen. Die Deutlichkeit ließ allgemein sehr zu wünschen übrig. Einem frenetischen Beifall folgte eine Jubelfeier im „Skandia“.
Elfriede Kolmann
Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 3.12.86
Hans Brüggemann: Anspruchsvolles Schauspiel in Niederdeutsch
Schleswiger Speeldeel überzeugte mit dem Stück über den großen nordischen Bildschnitzer
HUSUM. Niederdeutsches Theater kann mehr sein als polternde Bauerntölpelei. Es bedarf nicht der vordergründigen Klamotte, um sein Publikum zu finden. Wie literarisch anspruchsvoll Schauspiele in niederdeutscher Mundart sein können, zeigte erneut die Schleswiger Speeldeel. Das nunmehr 25 Jahre alte Amateurtheater aus der Schleistadt gastierte am Dienstagabend in der Kongreßhalle mit der Tragödie in funf Akten „Hans Bruggemann”.
Hans Ehrke (1889 - 1975) schrieb 1930 dieses plattdeutsche Stück um den großen nordischen Bildschnitzer der Renaissance. Sein Bordesholmer Altar, 1521 vollendet, bildet den Hintergrund für den Ablauf der Handlung. Zwei geistige Strömungen jener Zeit läßt Ehrke sichtbar werden. Die neuere entstammt dem Humanismus. Der Renaissancemensch Hans Brüggemann ist ihr Repräsentant. Sein Künstlertum will frei sein. Es soll sich nur aus ihm heraus, aus tiefem innern Erleben entfalten. „Meine Kunst ist frei, so frei wie ich, läßt der Autor ihn diesen Geist verdeutlichen.
Die zweite Strömung ist der beharrende Anspruch der alten Kirche auf den Menschen. Er zeigt sich in den beiden Mönchen Jannis und Marten. In fanatischer Glaubenseiferei wollen sie „Wälle aufwerfen” gegen die Freiheit des Denkens. Nach ihrem Anspruch hat die Kunst Dienerin der Kirche zu sein, der Künstler zu schaffen, was der Glaubenslehre dient.
Hans Brüggemann dagegen will in seiner Kunst Figuren schaffen, „wirklich und wahr”. Er weigert sich, seine Seele zu verschachern. So ist der Konflikt mit dem Klerus unausweichlich. Brüggemann wird Opfer einer fein gsponnenen Intrige der beiden Mönche, die ihm das Augenlicht kostet. Der Geblendete kann nicht mehr schnitzen. So wird er auch nicht mehr den tiefsten Schmerz, den er sich wünschte im Antlitz der Mutter Gottes sichtbar zu machen, ausdrücken können. Brüggernann erfährt:: „Schmerz macht nicht reif, bloß elend“.
In „Hans Brüggemann“ ringt ein Künstler um den Ausdruck seines tiefsten Erlebens. In ihm zeigt sich aber auch der Mensch, der seine innere Freiheit selbst gegenüber starken äußeren Kräften behauptet. Diese Spannungen sichtbar zu machen, war Anliegen des Autors, weniger die Schilderung der historischen Figur Hans Brüggemanns. Das wäre ohnehin sehr unergiebig gewesen, gelten doch nur ganz wenige Daten aus dem Leben dieses bedeutsamen Künstlers als gesichert.
Hans Ehrke schrieb seine Tragödie in Plattdeutsch. Sprache und Inhalt schmolzen hier zu einer Einheit zusammen, denn Zeitgeist und Empfindungen des frühen 16. Jahrhunderts klingen nunmal echter und natürlicher in der Sprache ihrer Zeit, und das war Niederdeutsch. So manch eine Aussage des Stückes hätte in Hochdeutsch gestelzt, vielleicht sogar lächerlich geklungen.
Mit Jens Larrssen verfügt die Schleswiger Speeldeel über einen ausdrucksstarken Schauspieler. So überzeugend und lebensecht zeichnet er die Figur des Bildschnitzers, daß man darüber vergaß, im Theater zu sein. Die innere Dramatik des Stückes wird von ihm voll nachempfunden und in unverfälschter, geradezu urwüchsiger Weise sichtbar gemacht.
Eine beeindruckende künstlerische Leistung zeigte Wiebke Seegebarth als Düweke Engel. Bewegend spielt sie die liebende Frau, die sich zum Werkzeug des Bösen machen läßt. Ihr Spiel steigerte sich im Verlauf des Abends, um in der Schlußszene die ganze Tiefe ihrer Ausdrucksfähigkeit zu offenbaren. Zwei gar nicht so christliche Mönche verkörpern Volker Schwarz als Jannis und Rainer Buck als Marten. Klerikaler Machtanspruch und Glaubenseifer diktiert ihr Verhalten, weniger die Nächstenliebe. Beide lösten überzeugend diese Rollenvorgabe. Bei den beiden Gesellen Brüggemanns, dargestellt von Dietrich Dippel und Kai Boysen, hätte man sich ein lebendigeres Bild gewünscht. Ungeübt zeigten sich auch die beiden Darsteller der Husumer Ratsherrn, Friedrich Brix und Wolfhard Schulz.
Olly Gröning dagegen verkörpert die Rolle der Mutter Brüggemanns sehr glaubhaft und äußerst eindrucksvoll. Für die tiefgläubige Frau ist es am Ende ihres Lebens wie selbstverständlich, ihren Sohn wieder an die Hand zu nehmen und ihn zu führen, wie sie es auch in jungen Jahren getan hatte. Diese ergreifende, schwer zu spielende Rolle, gestaltete Olly Gröning sehr schlicht und glaubwürdig.
Aufrichtig und sehr menschlich zeichnete Werner Jungjohann die Figur des achtbaren und ehrlichen Ritters Wulf von Pogwisch. Besonders die leisen Töne des stets nach zwei Seiten lavierenden Propsten brachte Harald Koppe sehr bemerkenswert zum Klingen.
Jürgen Dietrich
Husumer Nachrichten, 10.12.1987
Dankbarer Applaus für niederdeutsche Tragödie
Schleswiger Speeldeel zeigte „Hans Brüggemann”
Lütjenburg (1f). Zaghaft zuerst, dann voll und dankbar kam der Beifall auf, als die „Schleswiger Speeldeel“ die Tragödie “Hans Brüggemann” beendet hatte. — In Lütjenburg klatscht man nicht in der Kirche, so die Meinung vieler, und des halb bleibt es auch immer nach den Konzerten der Kantorei so still in der Kirche. — Verdient hatten es die Laienschauspieler aus der Domstadt, in der ja das größte Werk des Bordesholmer Schnitzermeisters, der “Bordesholmer Altar”, im Dom zu finden ist.
Ja, so mag man sich den Meister der Schnitzkunst wohl vorgestellt haben: eine große Gestalt, überzeugend durch Werk und Wort, zweifelnd am eigenen Können, immer bestrebt, Leben in seine Figuren zu, bringen. Ebenso überzeugend wie Jens Larssen als Hans Brüggemann spielte Wiebke Seegebarth als Düweke Engel, die Geliebte des Meisters, die ihn am Ende auf Veranlassung zweier Mönche durch eine Flüssigkeit blendet.
Dies Stück in Schleswiger Platt, in dem Jens Larssen der Titelfigur und damit dem ganzen. Stück den Stempel aufdrückte, hätte weit mehr Zuschauer verdient gehabt als die ca. vierzig, die an einem Sonnabend abend bereit waren, auf Kulis letzten Auftritt zu verzichten.
Neben den beiden Hauptfiguren Brüggemann und Düweke überzeugte die erst spät auftauchende Mutter Brüggemanns, dargestellt von Olly Gröning, die zwar den Konflikt des Sohnes nicht versteht, für die sich aber der Kreis wieder schließt: vor Jahren hat sie ihr Kind an der Hand geführt, jetzt tut sie es mit dem blinden Sohn wieder.
Die Darstellung der verschwörerischen Mönche durch Volker Schwarz und Rainer Buck, die gar nicht so heilig waren, ließ beim Zuhörer die Erkenntnis aufkommen, daß Luther wohl gar nicht so unrecht gehabt haben mag mit der Forderung nach Erneuerung der Kirche in der Reformation. Während Ritter Pogwisch von Werner Jungjohann als ehrlicher Mensch dargestellt wurde, blieb die Figur des Propsten Berenth durch Harald Koppe ein wenig farblos. Schließlich ließen auch die beiden Gesellen des Meisters Hans Brüggemann, Dietrich Dippel als Johann von Groningen und Kai Boysen als Peter Wahn sowie Friedrich Bnix als erster Ratsherr und Wolfhard Schulz als zweiter Ratsherr den Fünfakter zu einem vollen Erlebnis werden.
Die richtige Vollendung fand das Stück aber erst in der Schlußszene, in der Wiebke Seegebarth die Düweke Engel so hautnah spielte, daß ihre Abschiedsworte, die sie knieend auf dem Boden der Lütjenburger St. Michaelis-Kirche sprach, dem Zuhörer so richtig tief eingingen. Ergriffen wartete das Publikum auf die erste Hand, die sich zum Beifall regte, um dann langanhaltend Dank zu sagen für eine Aufführung, die den Gang in die Kirche am Sonnabend fürwahr gelohnt hatte
Ost-Holsteinisches Tageblatt Nr. 272
Bericht NDR I zur Aufführung der Speeldeel
In Schleswig gibt es zwei plattdeutsche Bühnen. Seit über 40 Jahren die “Niederdeutsche Bühne " und seit genau 25 Jahren die " Schleswiger Speeldeel”.
In diesen Tagen feiert die Speeldeel Jubiläum. Dabei ist sie sich selber treu geblieben, nämlich auch und vor allem anspruchsvolle Stücke zu spielen.
Im Jubiläumsjahr bringen die Speeldeeler " Hans Brüggemann " auf die Bühne, ein niederdeutsches Trauerspiel von Hans Ehrke. Es geht dabei um die Tragik des Holzschnitzers Brüggemann, dessen berühmter " Bordesholmer Altar " heute in der Schleswiger Domkirche steht. Ausgerechnet dort, praktisch zu Füßen des Meisterwerkes, fand gestern eine eindrucksvolle Theateraufführung statt. Jürgen Hingst hat sie gesehen:
Ja, Andreas Schmidt, schon der Rahmen dieser Theaterinszenierung war natürlich ungewöhnlich. Theater im Dom, unmittelbar in der Nähe des Bordesholmer Altars, und dann ein Spiel um dessen Schöpfer, um Hans Brüggemann, das mußte auf Interesse stoßen und das tat es auch. Mehr als 200 Karten fanden ihre Abnehmer. Das Mittelschiff des Doms war sehr gut besetzt.
Die Schleswiger Speeldeel hat sich da eine reizvolle, aber auch schwierige Aufgabe gesetzt.
Hans Ehrke hat das Trauerspiel um den Holzschnitzer Brüggemann Anfang der 30er Jahre geschrieben. Seine Sprache ist ein genau gesetztes Plattdeutsch, noch stark vom Expressionismus, vom Ausbruch des Gefühls und vom übersteigerten Pathos gefärbt.
1521 spielt das Stück. Luther steht vor dem Reichstag und verteidigt seine Thesen und Reformpläne für die Kirche. Der alte Glaube gerät ins Wanken und Hans Brüggemann beginnt zu zweifeln, er erlebt eine künstlerische Krise. Sein eben vollendetes Werk, der Bordesholmer Altar, atmet schon den Geist der neuen Zeit. Da ist nichts mehr vom kindlich naiven Gottesglauben der alten Kirche zu sehen. Kein Wunderwerk von Magie und Mysterium.
Brüggemanns Arbeit läßt sich nicht vereinnahmen. Kunst, so sagt der Meister, muß aus einem selbst kommen, muß im Heute geschaffen werden, darf sich keiner Ideologie, keiner Absicht unterordnen. Deshalb hat er seine Altarfiguren so geschaffen als ob die Leute in der Gegenwart lebten. Er hat ihnen Gesichter gegeben, läßt sie menschliche Gefühle zeigen. Realismus statt geglaubter Wirklichkeit.
Hier aber setzt die Kritik der .Konservativen ein. Einsicht in Wahrheit und Wirklichkeit mache die Menschen unglücklich, das einzige was zähle -sei der Glauben und zwar der der katholischen Kirche. Sie verlangen von Brüggeraann, eine Wunderfigur zu schnitzen, ein Abbild, bei dem man durch einen Mechanismus Blut und Tränen fließen lassen kann, damit die Menschen wieder an das Mysterium Gottes glauben. Hans Brüggemann weist dieses Ansinnen zurück und wird nun Opfer einer fein ausgeklügelten Intrige, an deren Ende er sein Augenlicht verliert und so von seinen Gegnern vernichtet wird.
Dies alles haben die Amateurschauspieler der Schleswiger Speeldeel eindrucksvoll umgesetzt. Bühnenbild und Darstellung halten sich streng an die literarische Vorlage.
Mit Jens Larssen als Hans Brüggemann, Olli Gröning als dessen Mutter, sowie Wiebke Seegebarth als Brüggemanns Geliebte Düweke Engel sind die wichtigsten Hauptrollen hervorragend besetzt. Zählt man noch Rainer Buck und insbesondere Volker Schwarz in der Rolle der falschen intriganten Mönche hinzu, so ergibt sich eine geschlossene Ensembleleistung. Das nächste Mal wird sie am kommenden Dienstag zu sehen sein, und zwar dort, wo der Brüggemann Altar 1521 entstanden ist, in der Klosterkirche zu Bordesholm. Ich bin sicher, auch dort werden die Zuschauer so beeindruckt sein, wie die, die gestern abend neben mir auf der Kirchenbank saßen.
Die Schleswiger Speeldeel hat wieder einmal bewiesen, wie gut sich auch sogenannte schwierige Stücke " op Platt spielen lassen.
Bericht NDR I
zur Aufführung der Speeldeel
Schleswiger Speeldeel spielte im Hebbelhaus
Wahrhaftige Kunst - eine Schreckenskammer
Wesselburen (tek) Den 174. Geburtstag des Dramatikers Friedrich Hebbel beging die Hebbel-Gesellschaft in dessen Geburtsstadt Wesselburen mit einer Theateraufführung. Die „Schleswiger Speeldeel" spielte vor vollbesetztem Haus Hans Ehrkes niederdeutsche Tragödie um den spätmitterlichen Altarschnitzer Hans Brüggemann, den Schöpfer des berühmten Bordesholmer Altars.
Wenn man auch nicht Hebbel selbst aufführte, die Thematik von Ehrkes 1930 uraufgeführtem Stück war dem Anlaß durchaus angemessen: Da ging es um das Verhältnis von Kunst, Leben und Glauben zueinander und um den Streit zwischen alt und neu.
Ehrkes „Hans Brüggemann" spielt im Jahr 1521 im Kloster Bordeshohn. Luther verteidigt sich vor dem Wormser Reichstag, Brüggemann selber steht nach sieben Jahren Arbeit kurz vor der Vollendung seines berühmten Altarwerks.
„Wohrhaftigkeit will ick", ruft Altarschnitzer Hans Brüggemann in Hans Ehrkes gleichnamigem Stück zu Beginn aus und benennt dabei sein Leitmotiv in Kunst und Leben. Ihm stellt Ehrke diejenigen entgegen, die den alten Glauben um jeden Preis verteidigen wollen.
Die Mönche und der Propst verlangen von Brüggemann, er solle ein Wunderwerk schaffen, einen Christus, der blutige Tränen weint. Nur so sei das kindische Volk von Luthers Irrlehren zu bewahren. Brüggemann hingegen ringt um realistischen, zeitgemäßen Ausdruck von Christi Kreuzestod. Eine „Schreckenskammer" scheint den Mönchen sein Werk.
Der Gipfel der Gotteslästerung ist in ihren Augen erreicht, als Brüggemann ein Abbild seiner Geliebten Düweke Engel als nackte Mutter Eva und Huldigung an das Leben in seinen Altar einfügt. Ihre Anklage gegen den Künstler fruchtet jedoch nichts, denn Ritter Wulf von Pogwisch stellt sich vor den Künstler.
Der heuchlerische Mönch Jannis schiebt der sich als Sünderin fühlenden Düweke Säure als Weihwasser unter. Diese träufelt es dem Schnitzer in die Augen, doch statt sie ihm damit für die Wahrheit zu öffnen, blendet sie ihn.
Während sein Altar in feierlichem Triumph aufgestellt wird, ist der Künstler verzweifelt. Er hatte gewünscht, selber einen Schmerz so tief empfinden zu können, daß er den Schmerz der Mutter Gottes um den Gekreuzigten voll ausdrücken könnte. Der Geblendete empfindet diese Qual, doch er kann nicht mehr schnitzen. Er erkennt: „Schmerz macht nicht reif, sondern bloß elend."
Die zahlreichen Zuschauer waren von der Aufführung sichtlich bewegt, die Parteinahme eindeutig: Gegen die falschen Mönche für Meister Brüggemann. Jens Larssens ausdrucksvolle Darstellung des Brüggemann trug das gesamte Spiel der Schleswiger. Weiter hervorzuheben ist Wiebke Seegebarth als Düweke Engel und Olly Gröning in der Rolle der Mutter Brüggemann, die ihren verzweifelten Sohn ins heimische Husum zurückholt.
Klar gezeichnet als Typen auch die beiden Mönche. Dabei war Horst Jacobs als Mönch Marten erst in letzter Sekunde für den verunglückten Rainer Buck eingesprungen. Jacobs mußte seine Rolle ablesen, traf jedoch immer den Ton und überzeugte auch in der Anlage der Figur.