Verlorn Tieden
Zeitkritik auf platt
Dittmol weer allens ganz anners: dat weer en eernsthaftig Speel, dor geev dat nix to lachen, dat Stück hett blots twee Törns, de eerste Törn is in fief enkelte Szenen opdeelt, veertein Speelers weern op de Bühn togang - wi snakt vun dat allernüeste Stück vun Prof. Ivo Braak "Verlorn Tieden". He het de Uropföhrung de "Schleswiger Speeldeel" anvertruut, un dat weer in dat utverköffte Huus en bannig grote Erfolg: söben Minuten hebbt de Tokiekers klatscht, un dat geev so veele Blomen, dat sick de Speelers un de Professer achter ehr Rükebüsche meist versticken kunnt ...
Wi hebbt Prof. Ivo Braak frogt, wat dor wull tohöör un schrieven en eernsthaftig plattdüütsch Stück. Gor nix, meener he, ik heff blots eernsthaftige Stücken schreewen, un all weern se good ankomen, denk blots an „Tein Johr un dree Dog". Un: kunn ditt Stück nich unnödig Angst bi de Minschen utlösen? Angst för en Unfall in en Atomkraftwerk. He sä, he wull de Minschen grod de Angst wegnehm!
Dat kunn wull angohn, wenn all de Lüüd so weern as de Hauptperson in sin Stück, de Buur Ludolf Diekmann. Eerst hett he nix dohn gegen de Gefohr, un as dat Unglück doorweer, den dreeg he dat mit Gedüll. Awers as he denn to starwen keem, dor seggt he doch: "Leggt nich de Hann' in' Schoot! Doot wat! Doot wat!" - Düsse Rull weer bi Werner Jungjohann in de besten Hannen: he kunn dat so ehrlich un klor dütlimoken, dat man em jede Wöörd un jede Geste glöven kunn - dat weer en grootortig Speel!
Veer Kinner hett Buur Diekmann: de öllste Söhn Arnold wurr vun Volker Schwarz speelt, heel övertügend in sin Wesselspeel vun Angst un Bistand för de ole Vadder. Anners Herwig Jürgensen as de tweete Söhn Vidder: hard un op sin Vördeel bedacht. He wull de Demonstranten mit de elektrische Tuun vun sin Wisch afhooln. Ganz klor, as son Eenbohnstroot, hett he sin Rull anleggt. De drütte Söhn Max war vun Reinhard Huxhold speelt; he hett sin grote Optritt in de tweete Törn, as dat um sin Verhältnis to de ole Vadder geiht. Dat mokt he prima! De Dochter Helene is Heidrun Reise; se hett dat bannig swohr, as se minutenlang alleen op de Bühn steiht un en "Selbstgespräch" röver bringen schall. Awers ok dat klappt bestens. De annere Fruunslüüd-Rull hett Karin Jacobsen in ehr geföhlvullen Hannen: Marie, Arnold sin Fru. Eegentlich hett se de Töne parat, de abslut minschlich sünd un rein to Harten goht!
Ivo Braak sä, he wull dat richtige Leewen as richtiges Theoter op de Bühn stelln; dorto höört ok dat Hochdüütsche. So is dat klor, dat de beiden Professoren in ehr Diskuschon (Horst Seegebarth und Hayo Georgs) blots hochdüütsch snacken, un ok de Oberarzt (Helmut Finger), de meist en echte Sprütt setten deiht, un sin Assistent Maik-Felix Gomm hebbt mit Plattdüütsch nix to dohn.
Awers de anneren Speelers, de mehr to seggen hebbt as "Nebenrollen", setten sick vull un ganz in: Kalli Walter as Heinrich Lohmann, de eerst utbüxen deiht un denn doch helpen will; Uwe Petersen as de Makler Martin Tagge, Alfred Christians als Nige Jörns un Dietrich Dippel as Ordner - se all hebbt de grote Erfolg tosomenbröcht.
Ok achter de Bühn weern de Lüüd nich fuul: Björn Mummert schreew de Musik, un de ganze Tonkrom weer sin Sok; intrimmt hett dat Stück Hauke Stieger; Helmut Utermann hett en eenfaches, awers klores Bühnenbild opbuut. Hoor- un Snutenwark keem vun Anne-Kathrein Stieger, un de Technik moker Alfred Christians. Edna Maaske weer en Toseggersch, op de sich de Speelers verloten kunnen. Dat is säker, dat "Verlorn Tieden" en grote Tokunft hett.
REIMER POHL
aus "Schleswiger Nachrichten" vorn 22.1.90
Ivo Braaks „ Verlorn Tieden “ in Schleswig uraufgeführt
Der Bunker zerbricht eine Familie
Blumensträuße stapeln sich auf der Bühne. Der 83jährige Ivo Braak ist gerührt, ihm laufen nach der Premiere die Tränen über die Wangen. Da kam mit den Ovationen am Sonnabend im Stadttheater Schleswig eine Menge Dankbarkeit aber auch Erleichterung zum Ausdruck: Endlich, endlich hat sich ein Autor den Niederdeutschen einmal dem brisanten Thema aus der Region angenommen. Denn dort wo das Atomkraftwerk steht, wird auch niederdeutsch im Alltag gesprochen. Dort wo Energie gewonnen wird, brechen Familien über „den Bunker“ in Brokdorf auseinander. In dem Stück Verlorn Tieden, ein eernsthaftig Speel in twee Törn, das von der Schleswiger Speeldeel uraufgeführt wurde, sollte all das zum Ausdruck kommen.
Da will der öllste Sohn sein Haus fürn Appel und Ei verkaufen und fortziehen, da zieht der twete Sohn vor der erwarteten Großdemonstration hinterhältig Strom-Zäune über den Acker, da will der besorgte Schwiegersohn, der im Atomkraftwerk arbeitet, seine Stelle wechseln, weil Sicherheitsauflagen nicht erfüllt werden. Die Familie ist zerfallen wie ein Atomkern.
Ganz klar, die Identifikationsfigur des Autors Ivo Braak liegt beim bedächtigen Altbauern Ludolf Diekrnann, den Werner Jungjohann mit sparsamen Gesten überzeugend spielt. Aber auch die Wissenschaft kommt zu Wort. Am Stehpult debattieren Experten via Bildschirm auf Hochdeutsch über Radio-Isotope und Super-Gau.
Illustriert wird alles durch verschiedene Projektionen vom Brokdorfer Atommeiler. Daß Unheil droht, merkt der Zuschauer auch in der monotonen Herzchlag-Rhythmus-Musik
zwischen den Bildern. Nach dem Reaktorunfall sind die Menschen heimatlos geworden. Monoton liest eine Lautsprecher- Stimme im Auffanglager die Namen von Toten vor. Familie Diekmann ist wieder beisammen, aber verzweifelt: Ein Sohn ist umgekommen, der Vater lebensgefährlich verletzt. Endzeitstimmung, - Verzweiflung, Schock — Tochter Helene, gespielt von Heidrun Reise, zeigt diese Stimmung noch am eindruckvollsten.
Nur Altbauer Ludolf Diekmann behält in der Katastrophe die Nerven. Schwiegersohn Heinrich Lohmann (Kalli Walter) erklärt ihm „Kochtopf-plastisch“ wie die Radioaktivität austrat. „Dat will sich Luft machen.“ Eine der starken Szenen im Stück von Ivo Braak. Der Vater stirbt an den Folgen des Atomunfalls, mit dem Vermächtnis Ivo Braaks „Doot wat“ auf den Lippen. Danach, draußen im Foyer, holt die betroffenen Theaterbesucher die Wirklichkeit ein: Landwirt Karsten Hinrichsen aus der Umgebung Brokdorf klagt seit Jahren erfolglos gegen den „Bunker“. An diesem Abend wurde er alle seine Flugblätter los.
WOLFGANG GLOMBIK
Kieler Nachrichten, 22.1.1990
Mutiger Versuch von Ivo Braak
Plattdeutsches Stück zur Kernenergie
Schleswig. Plattdeutsches Theater ist nicht nur gemütlicher Frohsinn und bäuerliches Brauchtum von einst. In seinem neuen Stück mit dem Titel „Verlorn Tieden“ unternimmt der namhafte niederdeutsche Dramatiker Ivo Braak den mutigen Versuch, das Thema Kernenergie auf die Bühne zu stellen.
Schauplatz: Ein Ort in der Nähe eines Werks, in dem Atomenergie gewonnen wird. Die fünf kurzen Szenen des ersten Akts schildern die unter schiedliche Haltung der er wachsenen Kinder des Altbauern Diekmann, die sie zu dem nahegelegenen Kernkraft werk Brokdorf einnehmen.
Bei dem ältesten Sohn und seiner Frau führen die unterschwelligen Ängste vor Brokdorf zum Verlassen des Hofes. Auch die Tochter zieht mit ihrem Mann, der wegen der drohenden Gefahren sogar seine Arbeit im Kraftwerk aufgibt, in eine andere Gegend. Der zweite Sohn reagiert eher aggressiv, während der jüngste, ein Student, eine zunächst indifferente Haltung zeigt, als er in einem Interview seine Meinung äußern soll.
Objektives Pro und Kontra
In dieser Szene werden alle Pro- und Kontra-Argumente von zwei Wissenschaftlern objektiv zusammengefaßt, die wohl jedem von uns ausunzähligen politischen Diskussionen in der Presse und im Fernsehen noch im Ohr klingen.
Der zweite Akt spielt dann nach einem Reaktonrnfall im Auffanglager, wo sich die Familienmitglieder gegenseitig suchen. Es stellt sich heraus, daß der zweite Sohn die Folgen der Strahlung nicht überlebt und daß auch der Altbauer schwere Verletzungen davongetragen hat. Vor seinem Tod fordert er die um den Rollstuhl versammelten Familienmitglieder mit den eindringlichen Worten ‚Doot wat! Doot wat!‘ aber noch zum Handeln auf.
Klar und einfach
Uraufgeführt wurde das anspruchsvolle Stück jetztvon der Schleswiger ‚Speeldeel‘, die alle Rollen gut besetzen konnte. Eine herausragende Leistung gelang Werner Jungjohann als Altbauer Diekmann. Für die atmosphärisch dichte Inszenierung war Hauke Stieger verantwortlich. Das Bühnenbild von Helmut Utermann zeichnete sich durch eindrucksvolle Klarheit und Einfachheit aus, so daß zwischen den Szenen des ersten Akts auf offener Bühne umgebaut werden konnte.
Mit der Einbettung des brisanten Themas in die Geschichte einer vom Auseinanderbrechen bedrohten Familie ist Ivo Braat der Nachweis gelungen, daß auch zeitkritische Stücke in Platt große Wirkungen erzielen können.
Anke Carstens
Lübecker Nachrichten, 11.2.1990
Der große alte niederdeutsche Dichter packt das Brokdorf-Thema an
Ivo Braak: leggt de Hann nich in Schoot
Er schreibt gegen den alten Trend. Keine seichten, “lieben Schwänke” auf Niederdeutsch. Keine nostalgischen Volksstücke mit Heimattouch, die den Zuschauer mit sich und seiner Umwelt im reinen lassen. Ivo Braak will provozieren, will gehaltvolles Theater auf die Bühne bringen. In diesem Zusammenhang ist sein neues Drama Verlorn Tieden zu sehen, das am 20. Januar, 20 Uhr, im Stadttheater in Schleswig uraufgeführt werden soll. Eine Wiederholung soll es dort am 25. Februar geben. Die Thematik ist brisant und hochpolitisch: Die Ängste der Menschen vor der Kernenergie.
Mit dem Kernkraftwerk Brokdorf, nahe seiner Dithmarscher Heimat, fand der in Marne geborene Dichter, der jetzt in Kiel-Molfsee wohnt, gleich den Stein des Anstoßes und die ideale Kulisse für sein Drama. Im ersten Akt erlebt die Bauernfamilie Diekmann die wissen schaftliche und emotionale Auseinandersetzung vor dem Hintergrund der großen Brokdorfdemonstrationen in der Wilstermarsch. Es bleibt nicht beim Diskutieren. Nach dem Super-GAU im nahen Kernkraftwerk bedroht eine große radiaktive Wolke die Familie. Flucht, Lagerleben, Aufbewahrung und Sterben auf der Bühne sollen schockieren und bislang Verdrängtes sichtbar machen.
Aber will der „normale Liebhaber“ des niederdeutschen Theaters eigentlich derartigen Problem-Stoff sehen? ,, Das ist ein Zeitstück“, meint der Dichter, der selbst Spielleiter an der Niederdeutschen Bühne war. Aber auch eine Auflehnung gegen den Niedergang des plattdeutschen Theaters, das sich nach seiner Ansicht kaum mehr an ernste Stoffe traut, sondern nur die Erfolgstücke bringt. „Ich bin kein Politaner“, meint Braak, „aber dieses andauernde Schielen nach der Gunst des Publikums ist schlecht für das Niederdeutsche. Wir hatten zeitweise nur Tanten-Publikum, das mit seichter Unterhaltung und Witzen zufrieden war. Aber einmal vergeht das Lachen, und was bleibt dann über?“
Auch die kleinen niederdeutschen Bühnen haben nach Ivo Braak eine kulturpolitische Aufgabe. Für ihn ist es deshalb nur ein Symptom, daß ausgerechnet er als 83 jähriger sich an dieses brisante Thema wagt, das die „Westküsten-Menschen“ im vergangenen Jahrzehnt mehr als nur beschäftigt hatte. Aber nicht jede Bühne kann nach Braaks Einschätzung diesen Stoff auf die Bühne bringen: Der Dichter wählte die Schleswiger Speeldeel, ein Amateurtheater, das nach seiner Einschätzung dem Stoff gewachsen ist.
Ivo Braak, der Wissenschaftler und Pädagoge, der sich Zeit seines Lebens für die niederdeutsche Sprache einsetzte, will demnächst noch einige Kurzgeschichten veröffentlichen. Aber auf die Frage, ob er mit den letzten dramatischen Worten des sterbenden Bauern Ludolf Diekmann sein Vermächtnis weitergibt, nickt er: „Wat ji nu doon mööt, weet ik nich./Aver leggt de Haan nich in Schoot!!/Doot wat, doot wat‘.
WOLFGANG GLOMBIK
Kieler Nachrichten
NDR - Welle Nord
“Vun Binnenland un Waterkant”
Sonntag., 21.1. 9O
"Was ihr tun müßt, weiß ich nicht. Aber legt nicht die Hände in den Schoß. Tut was, tut was! "Mit diesen eindringlichen Worten läßt Ivo Braak sein neues Stück "Verlorn Tieden" enden. Knapp 2 Stunden intensives Theatererleben liegen hinter dem Zuschauer, und wenn auf der Bühne das Licht ausgeht, atmet man erst einmal tief durch. Denn Ivo Braak, der große alte Mann des niederdeutschen Theaters, entführt uns nicht etwa in die Welt des Lustspiels, des schwankhaften Volkstheaters, sein "Verloren Tieden" ist "een eernsthaftig Speel". Thema: Das Kernkraftwerk in Brokdorf.
Am Beispiel der Bauernfamilie Diekmann, Vater, drei Söhne, eine Tochter nebst Ehegatten, führt Braak uns die Probleme und Ängste der Menschen vor, die tagtäglich mit dem Bild des Atomkraftwerks konfrontiert werden. Insofern ist Braaks Volkstheater, um es einfach einmal so zu nennen, zugleich Zeittheater und damit wieder Volkstheater im wahrhaft ursprüglichen Sinne. Es macht betroffen, es geht uns alle an.
Eindringlich schildert der Autor zunächst Leben, Sorgen und Probleme der unter der ständigen Bedrohung lebenden Bauernfamilie. Alle Familienmitglieder kommen in 5 kurzen Szenen zu Wort, direkt oder indirekt kreisen alle ihre Gespräche immer nur um das eine Thema: Brokdorf. Die Spannung verdichtet sich zunehmend, einziger dramaturgischer Bruch in dieser sich langsam aufbauenden Szenenkette ist die 4. Szene, die uns in das Audimax einer Universität entführt, wo zwei Professoren über Vor- und Nachteile der Kernenergie streiten. Sie gliedert sich nur schwer in das Ensemble ein, denn Braak verläßt hier - leider - die direkte Ebene der vertrauten Gespräche der Betroffenen, die gerade die Stärke des Stückes ausmachen. Doch das tut der Intensität der Inszenierung kaum Abbruch.
Die Schleswiger Speeldeel hat gerade die bedrohliche Stimmung bühnentechnisch sehr gut umgesetzt: Die Bühne, ein an den Seitenwänden und im Hintergrund durch schwarze Suffiten begrenzter Kasten, erinnert nicht nur an ein Gefängnis, dieses Gefängnis wird auch noch ständig beherrscht vom Bild des Atomkraftwerkes. Vom Dia lächelt es höhnisch auf die Betroffenen herab, die sich hilflos in seinem Schatten bewegen. Ein Entrinnen gibt es nicht. Denn kaum hat man sich seine Angst offen eingestanden, läßt Braak es zu einem Reaktorunfall kommen. Blaulicht und Rotkreuzzeichen beherrschen plötzlich die Bühne. Eine unpersönliche Stimme verkündet aus dem Off beständig die Namen der Toten und Verletzten. Die Mitglieder der Familie Diekmann irren verängstigt durch das Auffanglager auf der Suche nach Geschwistern, Ehegatte und dem Vater. Schließlich ist klar: ein Sohn ist tot, der Vater schwer verletzt. Auch er stirbt am Ende, jedoch nicht ohne seinen Kindern das eingangs zitierte Vermächtnis mit auf den Weg gegeben zu haben: "Tut was!"
Dieser Appell richtet sich auch an den Zuschauer. Denn mag mancheiner auch meinen, nach all den Filmen und Diskussionen über das Thema Atomenergie sei ein Stück darüber nun wirklich überholt und überflüssig, - dem ist nicht so. Denn das Leben geht weiter, die Anwohner sind tagtäglich mit diesem Problem konfrontiert, was der in Diskussionen überhitzte Großstadtmensch vielleicht schon lange vergessen oder verdrängt hat. Und genau dieses Alltägliche führt Braak uns auf eindrucksvolle Weise vor.
Mit der Schleswiger Speeldeel, der er das Stück zur Uraufführung übergab, hat er einen guten Griff getan. Unter der Regie von Hauke Stieger kommt ein knappe, nüchterne, in keiner Minute pathetisch überladene Fassung zustande, die besonders durch gezielt eingesetzte musikalische und bildliche Effekte an Intensität gewinnt. Die Schauspieler, immerhin alles Laien, die nur nach Feierabend proben können, zeigen ein beachtliches Gespür für die Dramatik des Stückes. Morgen könnten sie wirklich die sein, die sie spielen.
Das Publikum spendete ihnen und ihrem Autor dann auch lange Applaus. Braak war sichtlich gerührt, und wie er so auf der Bühne stand, der alte Mann, wirkten die letzten Worte des Stückes fast wie sein eigenes Vermächtnis: " Tut was!"
NDR - Welle Nord, Katja Pohls
21.1. 199O
Eernsthaftig Speel in twee Törns erzeugt Betroffenheit
Ivo Braaks „Verlorn Tieden" im Stadttheater aufgeführt
ITZEHOE. Es wird niemanden gegeben haben, der nicht betroffen das Itzehoer Stadttheater nach der Aufführung von Ivo Braaks „Verlorn Tieden", jenem „Eernsthaftig Speel in twee Törns" um die mögliche Gefahr der Kernenergie verlassen hat. Fand doch die Aufführung ihren erschütternden Höhepunkt in der Sterbeszene von Altbauer Ludolf Diekmann, der unter dem mahnenden Ruf an seine Kinder „Doot wat! Doot wat!" an den Folgen eines Gaus zusammenbricht.
Wer Ivo Braak kennt, er hat früher oft auf der Itzehoer Bühne gestanden, weiß, daß er sich mit Haut und Haar mit der Rolle des Altbauern Ludolf Diekmann, hervorragend von Werner Jungjohann mit sparsamen Gesten, einfühlsamer niederdeutscher Sprache, dargestellt, indentifiziert.
Dennoch klangen trotz verdienten Beifalls die einführenden Worte von Uwe Petersen von der Schleswiger Speeldeel nach, der für die Initiatoren, die - der plattdeutschen Sprache nicht mächtig - ihn gebeten hatten, zu erläutern, wie es zu dieser Aufführung, die auch in ihrem Ensemble nicht unumstritten gewesen sei, gekommen ist.
In Itzehoe gastierte die Schleswiger Bühne auf Einladung des Ortsverbandes „Eltern für unbelastete Nahrung", Deutscher Bund für Vogelschutz, die Grünen KV Steinburg, BUND, Kreisgruppe Steinburg und Grüne Liste Itzehoe, sie konnten sich über ein volles Haus freuen. „Wi hebbt lang överlegt - wi wull'n keen Angst rnaken, wat passeern kann, wie weer'n uns nich eenig, avers wi hebbt denn mit Braak snakt, un as he se: ick mut mi wunnern, dat keen nedderdütschen Autor dat Thema anfoten deiht - da weer'n wi uns klaar - un nu sünd wi hier."
Vielleicht haben auch, andere Autoren nachgedacht und dann doch Abstand genommen, nicht, weil ihnen der Mut fehlte, dieses 'heiße' Thema anzufassen, sondern weil es so schwer ist, es in seiner ganzen Tragweite packend dramatisch zu gestalten. Das zeigte auch die Aufführung von Ivo Braaks Stück. Es ist dem namhaften niederdeutschen Autor wohlgelungen, die mit der Kernenergie verbundenen Konflikte in den Personen der Landwirtsfamilie Diekmann großartig anschaulich zu machen, doch leidet die Aufführung unter den Längen des Disputs der Wissenschaftler in pro und contra Kernenergie in hochdeutscher Sprache. Auf diese Lektion hätten manche Zuschauer gern verzichtet.
Das Lokalkolorit ist geschickt eingefangen durch verschiedene Projektionen des Brokdorfer Kernkraftwerkes, gelungen auch die belastende Zwischenmusik, monotones Klopfen, das Unheil ankündigend .
In den ersten Bildern erleben die Zuschauer die Not des ältesten Sohnes Arnold Diekmann (Volker Schwarz), von seiner Frau Marie (Karin Jacobsen) in seiner Angst vor dem unheimlichen 'Bunker' bestärkt, der den Hof verkaufen und wegziehen will. Ganz anders der zweite Sohn, der optimistisch in die Zukunft schaut und sich die Demonstranten mit Elektrodraht vom Leibe halten will. Immer der gutmütige Altbauer dazwischen: „Hast Du auch genug Warnschilder aufgestellt?" Und Lene (Heidrun Reise), die Tochter des Altbauern, erlebt an ihrem Mann nach dem Glück der Aufbaujahre, weil er gutes Geld in Brokdorf verdiente, wie er an seinen Zweifeln an die Sicherheit des Atomkraftwerkes zu zerbrechen droht und die Stellung wechselt.
Nach der Pause - inzwischen ist die Katastrophe eingetreten - erleben die Zuschauer im Auffanglager die Endzeitstimmung, über Lautsprecher werden die Namen der Toten und neu eingelieferten Verletzten aus der Wilstermarsch bekanntgegeben. Familie Diekmann findet sich hier wieder und forscht nach Angehörigen.
Ist den Menschen unserer Region nicht doch ein bißchen zuviel zugemutet mit diesem Stück, das nach den Worten von Uwe Petersen keine Angst machen will! aber doch Angst schürt?
ESTHER FRÖBE
Norddeutsche Rundschau 21.2.1990Ludolf Diekmann
Buer
Werner Jungjohann
Arnold Diekmann |
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Marie |
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Vidder Diekmann |
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Herwig Jürgensen |
Max Diekmann |
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Helene |
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Heidrun Reise |
Heinrich Lohmann |
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Martin Tagge |
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Nige Jörns |
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Professor Danielsen |
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Hayo Georgs |
Professor Mulert |
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Oberarzt |
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Helmut Finger |
Assistent |
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Maik-Felix Gomm |
Ordner |
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Intrimmt hett |
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Speeldeel inricht |
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Helmut Utermann |
Hoor un Snutenwark |
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Anne-Kathrein Stieger |
Technik maakt |
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Toseggen deit |
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Edna Maaske |