Dicke Luft in Rönnekamp
Großartige Aufführung der Schleswiger Speeldeel
Das Stück „saß"
Bewußte Aktualität auf der Bühne ist gut und empfehlenswert; ungewollte Aktualität, von einer Laienbühne dargeboten, kann beklemmend wirken. So mancher Zuschauer, der am Sonntagabend die köstliche Aufführung der „Schleswiger Speeldeel" miterlebte, wird unwillkürlich an das geplante Betonwerk in Gelting gedacht haben. Hier Fortschritt von Technik und Wirtschaft, dort Erhaltung der Landschaft und Schutz vor Umweltverschmutzung -darum ging es auch in dem heiteren Stück „Dicke Luft in Rönnekamp" von Jens Exler, und nicht immer findet sich ein freundlicher, finanzstarker Wohltäter, der alles zum besten führt und sogar noch der Bildung ihre Chance gibt!
Die Schleswiger Speeldeel war gut beraten, als sie sich dieses Stück als zweite Premiere der Saison aussuchte: der Autor Jens Exler, nicht nur von vielen Laienbühnen, sondern auch vom „offiziellen" Theater hochgeschätzt, bringt stets mit leichter Hand wichtige und schwerwiegende Probleme auf die Bühne, und im Grunde ist jeder Zuschauer selbst aufgerufen, sich seine Meinung zu bilden: Fischmehlfabrik oder Schulneubau?
Bühnenstück und Darstellergruppe schienen aufeinander abgestimmt zu sein, wie es ja überhaupt eine Spezialität der Schleswiger Speeldeel ist, ernste Dinge in unbeschwerter Form vorzutragen. Das Symbol der heiteren und der traurigen Maske beweist es stets aufs neue: hier wird nicht nur seichte Unterhaltung geboten, sondern echte Heiterkeit mit tiefem Hintergrund. Und so hatte Annemarie Dienesen, die in köstlicher Form die Zuschauer begrüßte, gar nicht unrecht, als sie von einem „Drama" sprach. Aber die Heiterkeit überwog, auch schon bei diesen ersten Worten, und als sie dann sagte: „Wulln Se villich de ganze Dag Fisch rüken? Ick nie!", da hatte sie die Lacher des ganzen Hauses auf ihrer Seite. Manchen Besucher, der diese Schauspielerin auf der Bühne vermißte - zum ersten Mal seit 15 Jahren konnte sie ein Stück aus dem Zuschauerraum betrachten -, wird diese Begrüßung getröstet haben!
Zum ersten Male führte Werner Jungjohann, ein alter Theaterhase, Regie, und dem Spiel war anzumerken, daß es aus der Praxis kam. Zwei Arten zeichneten die Inszenierung aus: einmal das geschickte Ausnutzen der Situationskomik, auf die alle Schauspieler angesetzt waren. Dann aber auch das zielstrebige Hinarbeiten auf einen witzigen Höhepunkt, auf die Pointe, die durch diese Vorbereitung noch treffsicherer ankam. In diesem Punkte aber bestand nie Gefahr: das vollbesetzte, ausverkaufte Haus ging vom ersten Augenblick an mit, der Funke war von der Bühne in den Zuschauerraum übergesprungen, die Speeldeel „hatte" ihr Publikum. Dazu trug der Regisseur nicht unerheblich bei: das Spiel hatte Witz und Tempo, Geist und Folgerichtigkeit, und nur ganz selten hätte man sich etwas weniger „Statuarisches" gewünscht. Das bestens passende Bühnenbild und die Technik - Tonband! - stammte von Jens Larssen, und Mathilde Tams war eine sichere Souffleuse.
Viel Applaus, besonders der häufige Szenenbeifall, belohnte die Mühe der Schauspieler. Peter Neumann spielte den dickköpfigen, polterigen Amtsvorsteher Gerd Bockelmann, der zunächst auf seiner Meinung bis zum letzten beharrt und dann eigentlich „schon immer dagegen gewesen" ist. Eine undankbare Rolle, der Neumann aber klares Profil abgewann. Ihm zur Seite Peter Balzer, der den untertänigen, devoten Amtsschreiber Gottfried Rehbehn darstellte. Diese Studie gelang ihm gut; was er an Glück bei den Frauen nicht hat, versucht er durch großen Amtseifer wettzumachen. Zu bunt wird es ihm erst dann, als er die ganze Schuld in die Schuhe geschoben bekommen soll. Karin Hansen als Reporterin Sonja von Essen wirkte etwas steif und unnatürlich. Ihre Begeisterung über die eigenen Schlagzeilen sollte etwas weniger penetrant ankommen. Sehr echt allerdings wirkte ihre Entrüstung über den Betrug, den man ihr angetan hatte. Sehr natürlich und innerlich, fast ein wenig mütterlich wirkte Heidi Misfeldt als Lehrerin Elke Kraft. Ihr war das Engagement und die Fürsorge für die Kinder des Dorfes anzumerken; auch ihre Eifersucht und die Zärtlichkeit entsprangen gutem Einfühlungsvermögen. Klar und gradlinig stand Dr. Benno Kruse, der Veehdokter des Dorfes, von Volker Schwarz prächtig dargestellt, zu seinen Gedanken. Sehr sympathisch wirkte er zu Anfang des dritten Aktes, als er die Niederlage unumwunden zugab und an Kapitulation dachte. Auch er fand tragende menschliche Töne. Köstlich Hans Stuck als Landstreicher Adje, der zunächst von keinem ganz ernst genommen wird, auf seinen Brustbonbons sitzen bleibt und plötzlich der Mittelpunkt des Interesses ist. Er trug einen gehörigen Teil zur Situationskomik bei.
Alle Schauspieler aber werden neidlos den Rang anerkennen, den sich Erika Larssen und Uwe Petersen erwarben. Knecht Polle und Köksch Ida waren ein geradezu zwerchfellerschütterndes Paar, das zwar nicht ohne Streit, aber auch nicht ohne einander auskommt. Herrlich die Szenen, wie sie ihr klassisches Stück, das Kätchen von Heilbronn proben, wie Polle dem Sägebock Zucker gibt, wie die Regieanweisungen mitgelernt werden, wie sich ihr Alltag mit der klassischen Literatur vermischt! Die umwerfende Sprechweise der Ida muß man gehört haben, um den Beifall des Publikums ermessen zu können! Streckenweise fühlte man sich aus einem Theater in das wirkliche Leben versetzt und hörte zwei grundanständigen, biederen Menschen zu, die gerade wegen ihrer Offenheit so witzig sind; :
Von Mal zu Mal erwirbt sich die Speeldeel einen größeren Besucherkreis, der zum festen Stamm hinzukommt: der begeisterte, langanhaltende Beifall, die vielen Vorhänge und der reiche Blumensegen bewiesen es.
Reimer Pohl
Schleswiger Nachrichten, 17.2.1976
Ein Schwank um Köksch und Knecht
„Dicke Luft in Rönnekamp" — Riesenspaß mit der Speeldeel
Schleswig. Was sich der geschickte Bühnenautor Jens Exler zum Thema „Umweltschutz" hatte einfallen lassen, und was Werner Jungjohann als Speelbaas daraus gemacht hatte, das rollte unter dem Titel „Een lustig Speel" am Sonntag vor den ergötzten Augen und Ohren der das Schleswigs Stadttheater bis zum Rand füllenden Zuschauer als Neueinstudierung der „Schleswig Speeldeel" unter dem Titel „Dicke Luft in Rönnekamp" ab.
Keine Geringere als Annemarie Dienesen stimmte in ihrer charmanten Ansage das Publikum auf die Aufführung ein. Es ging um eine Fischmehlfabrik mit „Stank", die an Stelle einer so notwendigen Schule in dem Dörfchen einer noch heilen Welt errichtet werden sollte. Im Grunde waren alle Dörfler gegen die Fabrik, aber zum Sprecher der Opposition machte sich nur der Tierarzt Dr. Kruse, der von Volker Schwarz, ausgestattet mit den nötigen antiquarischen Requisiten, sehr mutig und rhetorisch gewandt dargestellt wurde. Sein vorerst noch geheimer Schatz, die attraktive Lehrerin Elke Kraft, fand in Heidi Missfeldt die sichere Verkörperung, keineswegs emanzipiert, sondern sehr fraulich und eifersüchtig, als die Reporterin in der Nähe ihres Geliebten auftauchte.
Karin Hansen als die hochdeutsche Reporterin Sonja v. Essen, lieb anzusehen, aber noch etwas gehemmt in Gestik und Bewegungen, mühte sich sehr, alle ihr vorschwebenden Schlagzeilen (Grundsteinlegung, Schulstreik und reicher Onkel aus Amerika) zu Papier zu bringen. Der jede berufliche Chance witternde servile Amtsschreiber mit Mittelscheitel, Gottfried Rehbehn, war bei Peter Balzer in den besten Händen, wenn man ihm auch seine so plötzlich erwachte Zuneigung zur Journalistin nicht so ganz abnahm, aber das war Sache der Dichtung. Sein Chef, de Buer un Amtsvörsteher Gerd Bockelmann (Peter Neumann) versuchte im Gedränge der Ereignisse seine Amtswürde nur dadurch zu retten, daß er seinem Schreiber alle Schuld gab, nach dem Motto des Lebens „Immer auf die Kleinen".
Und nun zu den Hauptdarstellern: dem Knecht Polle (Uwe Petersen} und Köksch Ida (Erika Larssen). Was Wunder, daß diese beiden so beliebten und begabten .Mitglieder ..der Speeldeel schon mit Szenenapplaus empfangen wurden; Als besonderen Gag hatte der Autor. Passagen des hochdeutschen Bühnenstückes “Kätchen von Heilbronn” in die Handlung eingebaut, und das Lernen dieser Passagen von Köksch und Knecht für die geplante „Grundsteinlegung" mit ihren Festlichkeiten wurde so gekonnt, so drög,, in einem so echten vermantschten Hochdeutsch dargeboten, daß es das Publikum zu lauten Juchzern hinriß. In der Begeisterung des Spiels überdreht Erika Larssen manchmal ihr helles Organ, aber in der Darstellung ist sie ebenso einmalig wie ihr Partner.
Last not least gibt der Landstreicher, der „Monarch" Adje, in der Verkörperung durch Hans Stuck, dem ganzen Stück die erlösende Wende. Er entpuppt sich als der ehemalige Auswanderer nach Amerika, der mit Finanzen reich gesegnet anonym zurückkehrt und seine Gelder dem Heimatdorf zum Bau der neuen Schule stiftet.
Ende gut, alles gut. Mit einigen Längen sind die drei Akte unter der technischen Leitung von Jens Larssen abgerollt, Mathilde Tams hatte als „Toseggersch" nicht allzu viel zu tun. Ein Blumenmeer war der Dank neben dem langen verdienten Applaus der Zuschauer.
Elfriede Kollmann
Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, 15.2.1976