Jonny Belinda

„Jonny-Belinda“—ein Stück zum Nachdenken

Großer Beifall für Aufführung der Schleswiger Speeldeel

 

 

 

Taub gleich doof — stumm gleich dumm. Und wer als doof und dumm erscheint, wird von den Mitmenschen nicht für voll genommen, wird verlacht, verspottet, verstoßen. Um diese Art von Vorurteilen, Gefühllosigkeiten und Mißverständnissen, denen taubstumme Menschen ausgesetzt sein können, geht es im neuesten Stück der Schleswiger Speeldeel: „Jonny Belinda“. Ein Drama auf platt? Das nicht, wohl aber ein Stück, das zum Nachdenken anregt. Am Sonnabend war Erstaufführung im ausverkauften Saal des Stadttheaters. Das Publikum zeigte durch langanhaltenden starken Beifall am Schluß, daß es sich trotz des ernsten Hintergrundes von „Jonny-Belinda“ gut unterhalten hatte.

Unterhaltung, wenn ein Problem wie Taubstummheit im Mittelpunkt steht? Die Frage ist zu bejahen. Die Speeldeel-Akteure schafften es nicht zuletzt durch ihr natürliches Auftreten, daß zwar Gefühle beim Zuschauer angesprochen wurden, daß es aber zugleich nie zu „gefühlig“ wurde; die Dosierung war gerade richtig. Ein Schuß Situationskomik hier und da — nicht derb ausgespielt, sondern der Spielhandlung untergeordnet rundeten das Ganze positiv ab.

„Jonny-Belinda“ ist ein Schauspiel, das aus dem Englischen ins Plattdeutsche übersetzt und dabei auf die Verhältnisse eines Dorfes in Angeln übertragen wurde. Es ist die Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Im harten Alltagsgeschäft findet Müller Korl Prüss keine Zeit, keine Lust und nicht einmal Interesse, sich um seine taubstumme Tochter Belinda zu kümmern.

Im Dorf heißt sie nur „de Stumme“. Ihr Vater und ihre Tante Grete Prüss sprechen ebenfalls so von ihr. Man spricht von ihr, über sie — aber nie mit ihr. Warum auch: „De is doch stumm und doof, de het keen Geföhl, de vesteiht nix? Schlagartig ändert sich die Lage, als Dr. Jan Röding ins Dorf kommt und der Taubstummen die Zeichensprache beibringt.

Herausgearbeitet hat Regisseur Hauke Stieger die Wandlung, die in dem hübschen Mädchen Belinda vorgeht, als es durch Zeichensprache Kontakt zu seiner Umwelt bekommt. Deutlich gemacht wird auch das veränderte Verhalten der Mitmenschen: Sie merken, daß sie Zugang zu Belinda bekommen, wenn sie die Scheu vor ihrer Behinderung überwinden, wenn sie sich nur mit ihr beschäftigen.

In der „Belinda“-Geschichte begreift auch der Vater plötzlich, daß er die Herzlichkeit, die Intelligenz und die innere wie die äußere Schönheit durch die Behinderung der Taubstummheit verdeckt gesehen hat. Die Möglichkeit der Verständigung untereinander läßt allmählich Verständnis füreinander erwachsen. Auch der Zuschauer wird in die Welt der Zeichensprache mit einbezogen, manches wird nicht „übersetzt“ — man versteht es so.

Mit dramaturgischen Mitteln ist der Speeldeel-Regisseur sparsam umgegangen. Gut auch, daß nach der Vergewaltigung von Belinda nicht die Frage im Vordergrund steht, wer es war; das merkt der Zuschauer sofort. Und so wird in der weiteren Folge gar nicht erst der kriminalistische Spürsinn entfacht, die Konzentration richtet sich ganz auf die menschliche Seite.

Die „Belinda“ stellt Wiebke Carstensen dar; sie erfüllt den Anspruch, den die Rolle an sie stellt (nur ihr neumodischer Haarschnitt paßt nicht so recht zur Bühnenwelt um sie herum). Beeindruckend verkörpern Uwe Petersen die Rolle des Vaters der Taubstummen und Olly Gröning die seiner Schwester. Uwe Petersen stellt wie Olly Gröning die ganze Gefühlspalette glaubhaft dar: Mürrisch, verzweifelt, nachdenklich, unsicher, wütend, liebevoll.

Horst Seegebarth in Gestalt des Dr. Röding überzeugt ebenfalls. Nur läßt er sich in dem Stück etwas Zeit, bis er sich in seiner Rolle entfaltet. Das liegt auch an der erste Szene, die Längen aufweist. Sein Verdienst: Als Helfer in der Not bleibt er Mensch und überzieht nicht.

Zum Gelingen der Aufführung tragen u. a. ebenfalls bei: Herwig Jürgensen und Karin Jacobsen, Volker Schwarz sowie Hanne Petersen und Birte Nissen. Kritischer Einwand bei den beiden, insbesondere bei Hanne Petersen: Sie spielt die Rolle als Tratschtante „Fru Peters“ zu gestelzt, zu maskenhaft.

Wenn ein plattdeutsches Theater eine Aufführung „mit Tiefgang“ präsentieren will, kündigt es das meist vorsorglich und ein bißchen unsicher an. Sicherlich: Unter dem Zwang, Komödien à la „Sluderkram in‘t Treppenhuus“ spielen zu müssen, befinden sich oftmals gerade die plattdeutschen Theatermacher. Aber ist das Publikum bei plattdeutschem Theater wirklich nur auf schenkelklopfende Fröhlichkeit aus?

Im Alltag wechseln Freuden und Leiden, Komisches und Trauriges, Glück und Pech einander ab — viele Zwischenstufen gibt es dazu. Warum sollte also nicht auch das plattdeutsche Theater wie selbstverständlich neben Lustigem auch Nachdenkliches bringen. Die Speeldeel hat dies mit ihrem Stück über das Leben einer Taubstummen erfolgreich unter Beweis gestellt. Das Publikum hat es ihr gedankt.

-fb

Schleswiger Nachrichten, Oktober 1984

 

 

„Rauschender“ Beifall für ernste, eindringliche Töne

Großer Erfolg für Speeldeel mit „Jonny Belinda”

 

Schleswig. Lernen und immer wieder lernen, hieß es seit Monaten für die Mitglieder der Schleswiger Speeldeel. Nun war es soweit: Premiere für das Schauspiel „Jonny Belinda“ von Elmer Harris, plattdeutsch bearbeitet von Jürgen Pooch. Im vollbesetzten Stadttheater wurde das Wagnis, sich an ein sogenanntes ernstes Stück heranzuwagen, ein voller Erfolg. Noch nie sind in Schleswig die Darsteller, ob hoch- oder plattdeutsch, mit soviel rauschendem Beifall bedacht und mit Blumen überschüttet worden wie nach dieser über zwei Stunden dauernden Aufführung.

Im Mittelpunkt des Geschehens stand das Schicksal der taubstummen Tochter Belinda des Müllers Prüss. Es war eindrucksvoll, wie es mit Hilfe der Zeichensprache gelingt, einer Gehörgeschädigten wieder Lebensmöglichkeiten zu vermitteln. Die Darstellung dieses Problems durch die Spieler verdient hohes Lob. Am eindringlichsten wirkte Wiebke Carstensen als Belinda. Wie sie die Wandlung darstellte von der verschüchterten „Stummen“ bis hin zur liebenswerten jungen Frau und Mutter, das war schon echte Kunst.

Nicht minder großartig wirkte neben ihr Uwe Petersen als Vater. Mimik, Aussprache und charakterliche Ausschöpfung der Rolle gelangen ihm mit Einfühlung. In der Rolle der Grete Prüss bewies Olly Gröning. daß auch sie das Zeug zu nachempfindendem und gestaltendem Spiel hat.

Horst Seegebarth als Dr. Röding war in seinem behutsamen Auftreten gegenüber dem verstörten Mädchen ebenso sympathisch wie in seiner Resignation über die über ihn im Dorf verbreiteten Verdächtigungen. Für den Tratsch sorgten die von Heike Walter trefflich kostümierten alten Tanten (Hanne Petersen, Birte Nissen). Fritz Doormann (Herwig Jürgensen) und Traute Hansen (Karin Jacobsen) waren ein Paar, das in seinen unterschiedlichen Charaktereigenschaften sehr wahrheitsgetreu dargestellt wurde.

Die übrige Schar der Darsteller trug dazu bei, ein solches Dorfgeschehen lebendig zu machen, wobei auch Hauke Stieger als Pastor nicht fehlen durfte, freilich in nicht sehr sympathischer Weise karikiert. Eberhard Voigtherr mühte sich in der Doppelrolle als Hans und Peter Jensen. Hayo Georgs war ein aufmerksamer Amtsdiener, Hans Friedrich Brix ein standfester Kaufmann.

Bestechend wirkte das Bühnenbild (Helmut Utermann) mit all den liebevoll ausgedachten Kleinigkeiten bis hin zur immer brennenden Petroleumlampe (Technik Konrad Hansen). Edna Maaske hatte weniger „totoseggen“ als gefürchtet, und Hauke Stieger hatte als „Intrimmer“, wie erwartet, beste Arbeit geleistet. Wenn die Handlung auch manchmal etwas langatmig wirkte, muß man im Nachhinein zugeben, daß sich kaum etwas kürzen läßt.

Elfriede Kollmann

Schleswig-Holsteinische Landeszeitung, Oktober 1984

 

.....

Am nächsten Tage folgte dann um 11 Uhr die plattdeutsche Aufführung von „Jonny-Belinda“ durch die „Schleswiger Speeldeel“. Hier wurde uns allen einmal vorgeführt, welche beeindruckende Wirkung ein ernstes niederdeutsches Theaterstück haben kann. Wir sahen großartige schauspielerische Leistungen, es wurde verhalten gespielt, stets dem Thema angemessen. Die Gratwanderung zwischen Betroffenheit und Sentimentalität wurde vom Regisseur und dem Ensemble überragend gemeistert. Das theaterkundige Publikum überschüttete die „Schleswiger Speeldeel“ mit Bravo-Rufen und enthusiastischem Beifall.

Rolf Fischer
 zu den Theatertagen in Wedel 1985

Spiel &  Bühne 3 / 85

 

 

Theaterstück mit sozialem Anliegen

 Schleswiger Speeldeel feierte Erfolg in Eckernförde mit „Jonny-Belinda“

 

KN: S. PAPENDICK Eckernförde
Plattdeutsches Theater einmal ganz anders führte die Schleswiger Speeldeel am Mittwochabend in der Eckernförder Stadthalle auf Einladung der „Plattdütsch Gill Eckenför“ auf. Statt einer beim plattdeutschen Theater häufig üblichen, von Verwicklungen lebenden Komödie mit einfacher Geschichte erwartete die Zuschauer ein tiefgehendes Theaterstück mit sozialem Anliegen: Das „Schauspeel in dree Törns“ von Elmer Harris „Jonny-Belinda“.

Das Stück erzählt die Geschichte der taubstummen Belinda Prüss (Wiebke Carstensen), die im Dorf nur „die dumme Stumme“ genannt wird. In der Mühle ihres Vaters (Uwe Petersen) muß sie alle schweren Arbeiten verrichten. Als eines Tages der neue Doktor im Dorf, Jan Röding (Horst Seegebarth), in die Mühle kommt, kann ihm Korl Prüss nicht einmal den Namen seiner Tochter sagen. Der Doktor hält Belinda nicht für dumm; er weiß, daß ihr nur die richtige Ausbildung fehlt und beginnt, sie in der Gehörlosensprache zu unterrichten. Er erreicht auch, daß ihr Vater mehr Verständnis für sie hat

Das Unglück nimmt für Belinda seinen Lauf, als der charakterschwache Fritz Doormann (Herwig Jürgensen) die „dumme Stumme“ vergewaltigt. Er geht davon aus, daß sie ihn ja nicht verraten kann. Bald darauf erwartet Belinda ein Kind. Mit Hilfe der Zeichensprache teilt sie ihrem Vater mit, was geschehen ist, und daß Fritz Doormann der Vater ist. Kurz darauf kommt Korl Prüß bei einem Gewitter ums Leben. Es wird vermutet, daß Fritz Doormann ihn umgebracht hat.

Bald darauf beginnt die prüde und verbohrte Sittenwächterin des Dorfes, Fru Gerda Peters (Hanne Petersen), gegen Belinda, die jetzt nur noch ihre Tante Grete (Olly Gröning) hat, zu hetzen und das Dorf gegen sie aufzubringen. Das Kind soll ihr weggenommen werden, Fritz Doormann und seine Frau Traute (Karin Jacobsen) wollen es adoptieren. Als Fritz heimlich versucht, das Kind, den kleinen Jonny, aus der Mühle zu holen, erschießt ihn die Stumme in ihrer Not. Sie wird vor Gericht gestellt, doch Traute, die inzwischen alles weiß, sagt für sie aus. Belinda wird freigesprochen. Als sie nach Hause kommt und ihren Sohn wieder in die Arme nehmen kann, sagt sie zweimal laut und deutlich „Jonny, Jonny“. Sie kann sprechen. Am Ende heiratet sie. den Doktor.

Mit „Jonny-Belinda“ ist es der Schleswiger Speeldeel gelungen, die Zuschauer über fast drei Stunden zu fesseln. Im Saal der Stadthalle herrschte Totenstille, eine Zuschauerin meinte: „Das geht einem richtig unter die Haut“. Die Schauspieler, allen voran Wiebke Carstensen in ihrer stummen Rolle als Belinda, zogen ihr Publikum mit der Geschichte der dummen Stummen in ihren Bann. Wiebke Carstensen, die ja nicht sprechen konnte, verstand es meisterhaft, ihre Gefühle durch Gestik und Mimik darzustellen. Hier wurde keine einfache Unterhaltung serviert, sondern ein echtes soziales Anliegen vorgebracht. Bei aller Traurigkeit fehlten jedoch auch heitere Passagen nicht. Volker Schwarz als Fiete Harksen, der sich den Daumen geschnitten hat und die Schmerzen mit Schnaps betäubt, sorgte ebenso für Heiterkeit wie Hanne Petersen als Fru Gerda Peters, die sich über alles und jeden aufregt und im Dorf die Sittenwächterin spielt.

Mit „Jonny Belinda“ hat die Speeldeel aus Schleswig bewiesen, daß plattdeutsches Theater nicht unbedingt nur einfache Unterhaltung sein muß. Es ist ihre gelungen, ein ursprünglich in Englisch geschriebenes und ins Hochdeutsche übersetztes Stück auch auf plattdeutsch als ernsthaftes Drama aufzuführen. Dies ist der Verdienst der Schauspieler, die in Eckernförde hervorragende Leistungen zeigten.

Kieler Nachrichten, 1. März 1985

 

 

De Rullen un de Speeler

 

 

 

Dr. Jan Röding

 

Horst Seegebarth

Fru Gerda Peters

 

Hanne Petersen

Fru Alrna Lutz

 

Birte Nissen

Hans Jensen
Peter Jensen

 

Eberhard Vogtherr

Ursula Petersen

 

Gudrun Brix

Fritz Doormann

 

Herwig Jürgensen

Traute Hansen

 

Karin Jacobsen

Fiete Harksen

 

Volker Schwarz

Koopmann Hartmann

 

Hans Friedrich Brix

Korl Prüss

 

Uwe Petersen

Belinda Prüss

 

Wiebke Carstensen

Grete Prüss

 

Olly Gröning

Paster Asmussen

 

Hauke Stieger

Amtsdeener

 

Hayo Georgs

 

 

 

Intrimmt hett

 

Hauke Stieger

Speeldeel inricht

 

Helmut Utermann

Hoor un Snutenwark

 

Heike Walter

Technik maakt

 

Konrad Hansen

Toseggen deit

 

Edna Maaske