Mamsell Betty

Die Moral von der Geschicht´ der vergnüglichen „Mamsell Betty"

Speeldeel-Premiere im ausverkauften Stadttheater

 

Bei den Vorarbeiten lief es mehr als einmal verquer — aber bei der Premiere am Sonnabendabend im Stadttheater war davon nichts mehr zu merken. Im Gegenteil: die launige Schilderung all der Widrigkeiten, mit denen sich „Speelbaas" Jens Larssen monatelang herumschlagen mußte, bevor schließlich „Mamsell Betty" auf der Bühne erscheinen konnte, war allein schon ein Vergnügen, dem die ganze Speeldeel-Aufführung dann in nichts nachstand. Daß alle Mitwirkenden ihre Sache gut machten, bezeugte auch der Beifall im vollbesetzten Stadttheater. Er fand immer einmal Grund zum Szenenapplaus, konnte alle herzliche Anerkennung aber eigentlich erst ganz zum Schluß loswerden: ein Zeichen dafür, daß die Aufführung nicht auf oberflächliche momentane Wirkung angelegt war, sondern den heiter-besinnlichen Charakter des Stückes traf.

Das Volksstück „Mamsell Betty" möchte aus der volkstümlichen Schmunzelecke, die am Zusammentreffen „unverbildeter" und „gediegener" Mitmenschen immer wieder ihre Freude hat, offensichtlich ein bißchen heraustreten. Es läßt sich dafür aber viel Zeit. Zuerst verläuft alles sozusagen nach Wunsch: die prächtige Mamsell Betty, die Lebenserfahrung und das Herz auf dem richtigen Fleck hat, der Kutscher Oskar, ein liebenswerter Schlawiner, die (noch) etwas truschullige Deern Wanda und der nette Junge Hein stehen für die eine (liebenswerte) Seite, die „Gnädige", gestrenges Mitglied eines Sittlichkeitsvereins, und der dünkelhafte Studiosus Jochen verkörpern die andere (aufs Korn genommene) Seite. Wanderer zwischen beiden Welten ist der ehemalige Kapitän Clausen: er hält es mit den einen wie den anderen --- Das Personenkarussell dreht sich nachsichtig-humorvoll; nichts Menschliches ist ihm fremd. Und das Publikum springt verständnisinnig und vergnügt auf, ohne daß es vieler Worte bedarf. Wanda trifft den Nagel auf den Kopf, wenn sie ihre Situation mit Hein „klärt": „Ünnerholn hebbt wi uns — aber ik hev keen Wort seggt!"

Es passiert nicht sonderlich viel bei „Mamsell Betty", aber es genügt, um das Stück — wenn auch manchmal etwas stockend — bis an den Punkt gelangen zu lassen, wo es seine „Moral von der Geschicht'" preisgibt. Sie stellt eine weltfremde und engherzige Moral in Frage, die sich vor allem gegen Frauen richtet, unter der aber auch Männer zu Pantoffelhelden werden. Um dieses Plädoyer für ein bißchen gelassener Menschlichkeit zu ermöglichen, nimmt die Handlung ganz zum Schluß eine — wenn auch nicht mehr originelle, so doch immer wieder denkbare und dankbare — Wendung: der von ihr als Neffe ausgegebene Hein entpuppt sich als Mamsell Bettys Sohn, den sie verschweigen mußte, um unbescholten in gesicherter Stellung bleiben zu können, und der Vater ist wohl kein" anderer als der Hausherr, Kapitän Clausen ...

Unter der Regie von Jens Larssen bleibt eigentlich keiner der Spieler seiner Rolle etwas schuldig. Dabei ist denen, die schon lange dabei sind, selbstverständlich ihre Bühnenerfahrenheit anzumerken. Ohne jeden theatralischen Aufwand „trifft" da jeder Ton und jede Geste. Für Waltraud Evers in der Titelrolle als Mamsell Betty gilt das ganz besonders. Sie wurde mit der nicht ganz leichten Aufgabe fertig, auch Zwischentöne anklingen zu lassen. Ein bißchen zu gleichförmig wirkt dagegen die Bedächtigkeit von Werner Jungjohann als Kapitän, die dem Zuschauer ein Zwisehen-den-Zeilen-Lesen erschwert. In der Rolle des Kutschers gefiel Jens Larssen, als spitzige „Gnädige" verstand es Anne Schmidt, einen Typus zu verkörpern, der zur Karikatur herausfordert und anders wohl auch kaum Aussicht auf Beifall hätte. Liebenswert-drollig spielte Birte Nissen ein junges Mädchen vom Lande, das von seinen ersten „Prüfungen" in der Stadt hin- und hergerissen wird, wobei der hochmütig-dümmliche Schürzenjäger Jochen — noch ein bißchen unsicher, aber doch vielversprechend dargestellt von dem Speeldeel-Neuling Jörg Nissen — am Ende geringere Chancen hat als der brave Hein, als der sich Hans Schröder zwar nicht so recht freispielt, der aber natürlich alle Sympathien auf seiner Seite hat. — Sonderbeifall bekam das Bühnenbild von Helmut Utermann: eine propere Küche in Blau-Weiß mit exakt gelandetem rotem Farbtupfer... Alles in allem eine hübsche, gelungene Aufführung.

ih.

Schleswiger Nachrichten 28.1.1985