Teihn Johr un dree Daag
Ernstes Stück auf platt - es geht um eine schwere Schuld aus Kriegsjahren
In Wort, Gestik und Mimik überzeugende Darstellung
Trotz Konkurrenz aus Hamburg: die Schleswiger plattdeutschen Bühnen haben ihr Publikum! Das Stadttheater war Sonnabend bis auf den letzten Platz besetzt, als die “Schleswiger Speeldeel” mit dem Stück "Tein Johr un dree Daag" antrat. Es stand etwas Besonderes bevor: ein ernstes Stück, und der Autor, der allseits bekannte Ivo Braak, war selbst anwesend. Er wurde – wie das Publikum - von Olli Gröning herzlich begrüßt, und er selbst dankte in bewegten Worten den Schauspielern für ihren Einsatz und dem plattdeutschen Publikum für seine Treue.
Es ist immer wieder ein Wagnis, ein ernstes plattdeutsches Stück auf die Bühne, zu stellen. Aber im allgemeinen gelingt es, es sei nur an "Hans Brüggemann" erinnert. Auch hier ist ein voller Erfolg zu bescheinigen, der sowohl auf das Stück als auch auf die Interpretation zurückzuführen ist.
Das Geschehen erstreckt sich über drei Tage und behandelt ein Ereignis, das zehn Jahre zurückliegt: daher der Titel des Stückes. Es geht um Schuld - die Ermordung eines Judenjungen im Jahr 1938 - ja, sogar um das klassische Problem des "Kreuzweges": wie sich die Hauptperson auch entscheidet, sie bringt sich oder andere ins Unglück. Hier entscheidet Niss sich dafür, den für die anderen "bequemeren" Weg zu gehen; er selbst aber verliert seine Zukunft.
Das wurde von Kalli Walter echt und überzeugend dargestellt: in sein alltägliches Leben bricht plötzlich die Erinnerung an die Vergangenheit ein, mit ungeahnten Konsequenzen. Seine Not, seine Gewissensqual, seine Ausweglosigkeit (großartig die Szene mit dem Pastor im 21. Akt!) -- das alles stellt er ohne Übertreibung und so menschlich dar, daß gelegentlich wirklich Erschütterung stattfindet. Dabei hatte er es genau so schwer wie die anderen Schauspieler: kein Lachen, kein Humor, kein Gag stellte die Verbindung zwischen Bühne und Publikum her. Nur das Wort, die Geste, Ausdruck und Gebärde konnten dazu dienen - wie oft mißlingt das sogar den Profis! Hier aber war es vorhanden. Alle Spieler wirkten daran mit, es war eine abgerundete Gemeinschaftsleistung. Gut auch, daß der Applaus von allen gemeinsam hingenommen wurde; beim Einzelauftritt achtet man ja doch immer unwillkürlich auf die Stärke des Beifalls.
Die "kleinen" Rollen waren am Erfolg genauso beteiligt wie die Hauptfiguren. Ob es Alfred Christians und Konrad Hansen als Landvermesser waren, Reinhard Friedrichsen als Landgendarm, Horst Jacobs als genauer, umsichtiger und doch menschlicher Untersuchungsrichter, Anne Schmidt in der bewegenden Rolle der "Huushöllersch" - sie alle sind genauso zu loben wie die tragenden Rollen.
Neben Kalli Walter, auf den sich das Gesamtgeschehen sternförmig zubewegt, steht Reimer Wischmann; er spielte den Bauern Janjakob Lau, Dietrich Dippel den Nawerbuur Julus Stüker, und der Nawerbuur Korl Wichmann ist bei Volker Schwarz bestens aufgehoben. Sie alle machen mit unterschiedlichen Charakterdarstellungen die Zwickmühle deutlich, in die die erneute Untersuchung sie treibt, und nun kommt es auf den vierten Zeugen, eben den Jungbuurn Niss Brandt (K. Walter) an: wie verhält er sich?
Auch das rein Menschliche spielt eine wichtige Rolle: die Tochter des Bauern Lau, Anke (ausgezeichnet gespielt von Karin Jacobsen), steht zwischen zwei Männern: Niss Brandt und Jens Stüker (sehr eindrucksvoll dargestellt von Wulf Gröning). Auch ihre Entscheidungsqual wird spürbar.
Hauke Stieger spielt den alten, leicht verwirrten Alwin Lass. Wie ein Seher, ein Prophet, tritt er auf: dem Zwang, zwischen der Komik des Aufzuges und der Tiefe der Darstellung zu unterscheiden, unterliegen nicht nur die Dorfbewohner, sondern auch das Publikum. Werner Jungjohann spielt ergreifend den Pastor Bünz: er will das Gute, gerät aber mit seinem Rat doch in die Gefahr, Ausweglosigkeit gepredigt zu haben. Auch ihm nimmt man seinen inneren Gedankengang ab. Seine Tochter Frauke wird von Wiebke Seegebarth dargestellt: menschlich, groß, mit tragischem Verzicht. Diese Rolle verkörpert das praktische Christentum noch stärker als die des Pastors.
Hauke Stieger hatte mit umsichtiger und behutsam leitender Hand Regie geführt: die Geschlossenheit der Darstellung ist weithin auf ihn zurückzuführen. Ein praktisches, funktionales Bühnenbild, das sich leicht verwandeln ließ, hatte Helmut Utermann geschaffen; Technik lag bei Alfred Christians in sicheren Händen; für die Masken war Heike Walter verantwortlich, und Souffleuse, die gelegentlich einhelfen musste, war Edna Maaske. Es wurde ein gutes Plattdeutsch gesprochen, die Regie sollte noch mehr auf absolute Deutlichkeit achten!
Ein ununterbrochener Beifall vor sieben Minuten Dauer ist Beweis für großartige Leistung. Ivo Braak reihte sich in die Darsteller ein, die, in einem Meer von Blumen fast untergingen.
Reimer Pohl
Schleswiger Nachrichten vom 11.1.1988
Bericht NDR 1 / Welle Nord
Zur Aufführung der Schleswiger Speeldeel:
" Tein Johr un dree Daag "
Von Binnenland und Waterkant vom 11.1.1988
Unsere Berichte kommen heute aus Lübeck, Lauenburg, Klein-Königsförde, Hamburg und Schleswig. Aus diesen Orten berichten wir heute. Einen schönen guten Abend zum Kulturmagazin in der Welle, Nord " Von Binnenland und Waterkant”.
.....Anschließend Eindrücke von zwei Theaterpremieren, einmal hochdeutsch, einmal plattdeutsch. " Hanglange -Meerblick " hatte im Hamburger Schauspielhaus Premiere .und " Tein Johr un dree Daag " von Ivo Braak bei der Schleswiger Speeldeel. Das alles bis kurz vor acht auf der Welle Nor.d... ....
.....Und nun zu zwei aktuellen Theaterpremieren vom Wochenende. Zuerst nach Hamburg ............ wenig Beifall also für die Premiere in Hamburg. Wollen wir doch mal hören, ob es am Wochenende die Amateure von der Schleswiger Speeldee besser gebracht haben. Vor vollbesetzten Rängen spielten sie jedenfalls im Schleswiger Stadttheater ein; Stück von Ivo Braak.
"Tein Johr un dree Daag " stand auf dem Programm Ein schwieriges und ein anspruchsvolles Stück ist das. Wie die Schleswiger Speeldeel es auf die Bühne gebracht hat, darüber berichtet J. Hingst:
Um Schuld geht es in diesem Stück, um einenTodesfall, der 10 Jahre danach wieder aufgerollt wird. Man schreibt Jahr 1948, Krieg und Nachkriegszeit sind gerade vorbei,die Bauern in einem kleinen Dorf in Dithmarschen sind zufrieden, es geht wieder aufwärts. Da kommt von auswärts, von der Stadt her böse Kunde. 10 Jahre und drei Tage sind es her, daß auf der Feldmark ein Jude zu Tode gekommen ist, nun soll der Fall noch einmal vor Gericht. Ein Unglücksfall sei es damals 1938 gewesen sagen die einen, ein Totschlag behaupten die anderen. Peter Lass, weit und breit der einzige Jude in der Gegend, sei von den Bauern regelrecht zu Tode gehetzt worden. Drei der Bauern sind sich sofort einig, jetzt wo die Sache wieder aufgerollt werden soll, da wollen sie den Mund halten. Bloß keine Aussagen machen, die den gerade so schön erreichten Frieden stören könnten. Nur einer weicht von den anderen ab. Nis Brand, Jungbauer und künftiger Hofbesitzer, plagt das Gewissen. Er möchte ein neues Leben beginnen, einen Abschnitt zumindest. Die Tochter seines Bauern, bei dem er dient, möchte er heiraten; mit einem reinen Gewissen will er das tun und nicht mit irgendwelchen unklaren Geschichten. Er vertraut sich dem Dorfpreester an, der rät ihm, die Wahrheit zu sagen, doch als er vor dem weltlichen Richter steht, da zieht Nis Brand seine Aussage zurück. Er hat seine Entscheidung nicht durchhalten können.
Drei Dramen hat Prof. Ivo Braak unmittelbar nach dem Kriege geschrieben, " Tein Johr.un dree Daag " ist davon sein schwierigstes. Auf vielen Ebenen werden darin die Fragen nach der Gewissensentscheidung von Menschen gestellt, Menschen die zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen sich frei entscheiden :können. Kein Zweifel, das waren entscheidende Fragestellungen in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, gerade hier bei uns in Schleswig - Holstein. Mit großem Gespür hat der Dithmarscher Ivo Braak die Spielhandlung seines Dramas in ein Milieu verlegt, das er aus eigener Anschauung kennt.
Diese Wirkung auch heute noch zu erzielen ist sicherlich nicht einfach, aber der Schleswiger Speeldeel ist es gelungen. Die Aufführung der plattdeutschen Laienschauspieler bewies sprachliche Dichte und spielerische Intensität. Hauke Stieger hat es geschafft, die Konflikte des Stückes glaubhaft in Szene zu setzen. Wer schon mehrfach Gelegenheit hatte, Aufführungen der Speeldeel zu sehen, der weiß, mit welchem Geschick die Rollen besetzt und die Stücke ausgesucht werden. In diesem Fall hat dies Volker Schwarz getan, er spielt auch einen der drei Großbauern. Überzeugend ihm zur Seite stehen in den Hauptrollen Reimer Wischmann, Kalli Walter, Dietrich Dippel und allen voran in der Rolle des Pastor Bünz der Senior der Schleswiger Speeldeel, Werner Jungjohann. Nimmt man noch Wiebke Seegebartn und Karin Jacobsen in den weibliche Hauptrollen hinzu, so stellt sich das Personal einer, bis in die letzte Charge hinein, gut gelungenen Aufführung dar.
Ivo Braaks Nachkriegsdrama plattdeutsch heute so zu inszenieren, beweist Mut und Engagement, nicht zuletzt auch spielerisches Können. Mit stürmischem Applaus wurde die Premiere an diesem Wochenende bedacht, ungewöhnlich, wenn man bedenkt, wie sonst hierzulande niederdeutsche Problemstücke vom Publikum bedacht werden. Zu Recht, wenn man die Aufführung der Schleswiger Laienschauspieler gesehen hat. Die Speeldeel ist eben immer für eine Überraschung gut und das ist gut so.
Bericht NDR 1 / Welle Nord
11.1.1988
Vergangenheitsbewältigung mit der Speeldeel
Ungeheuerliche Zeit ungeheuer gut gespielt
Wesselburen (im) Zum viertenmal war die Schleswiger Speeldeel in Wesselburen innerhalb gut eines Jahres zu Gast. Sie spielte diesmal ihr „Ernsthaft Spill in dree Akten von Ivo Braak - Tein Jahr un dree Daag" im ausverkauften Hebbelsaal. Als liebe Bekannte begrüßte die Präsidentin der Heobelgesellschaft, Barbara Wellhausen, die Schauspieler. Sie freute sich, daß sich die Besucher so zahlreich eingefunden hatten und besonders viele Gäste aus Heide nach Wesselburen gekommen waren.
Der Dithmarscher Ivo Braak konfrontierte seine Landsleute durch sein Stück, das er einige Jahre nach dem 2. Weltkrieg geschrieben hatte, mit einem Abschnitt ihrer eigenen, unheilvollen Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus. Die klare Sprache des Niederdeutschen ließ die Konflikte der Menschen während einer ungeheuerlichen Zeit deutlich werden.
Das Thema des Stückes hatten die Schleswiger Schauspieler erstaunlich gut erfaßt und konnten es daher auch den Zuschauern eindringlich vermitteln. Hauke Stieger, der die Rolle des Pastors Bünz überzeugend spielte, führte Regie. Ein besonders eindrucksvolles Bühnenbild von Helmut Utermann vermittelte die wirklichkeitsnahe Atmosphäre, in der sich die Szenen entwickeln konnten. Alfred Christians war für die Technik verantwortlich und für die Maske Heike Walter. Souffleuse war Edna Maaske.
Die Rollen waren ideal besetzt, wobei keiner der Spieler sich in den Vordergrund drängte oder sein Spiel überzeichnete. Als Bauer Janjacob Lau war Reimer Wischmann glaubhaft in seinem Bemühen um Wahrheit und um das Wohl seiner einzigen Tochter Anke, die von Karin Jacobsen verkörpert wurde. Anne Schmidt spielte die Haushälterin Greet mit einfühlsamer Zurückhaltung. Die in ihrer Anlage schwerste Rolle hatte Kalli Walter als Jungbauer Niss Brandt übernommen. Er wußte den um die Wahrheit suchenden, zwischen selbstbewußtem Auftreten und Verzweiflung schwankenden jungen Menschen, der schließlich entgegen seinem inneren Drang doch versagt, glaubhaft darzustellen.
Dietrich Dippel stellte einen Bauern dar, der die Vergangenheit einfach nicht mehr wahrhaben möchte, während sein Nachbar, den Volker Schwarz spielt, zeitweise von Gewissensbissen geplagt wird. Den Sohn des Bauern Stüker, der die junge unbelastete Generation verkörpert, spielte Wulf Gröning. Als noch verhältnismäßig neu im Ensemble, brachte Wiebke Seegebarth die Pastorentochter Frauke hervorragend auf die Bühne.
In der Rolle des Richters bemühte sich Horst Jacobs um sachliche Ruhe in einer schwierigen Lage, und Reinhard Friedrichsen als Gendarm hatte die dankbare Aufgabe, durch seine Rolle ganz kurz das humorvolle Moment in das ernsthafte Spiel zu bringen. In Nebenrollen agierten Alfred Christians und Konrad Hansen. Mit großer Eindringlichkeit spielte Hauke Stieger den geistesverwirrten Vater des aufgrund widriger Umstände und schuldhaften Verhaltens zu Tode gekommenden Juden Lass.
Das Geschehen auf der Bühne fesselte die Zuschauer bis zum Schluß des Stückes, das abrupt endete und zum Nachdenken anregte.
Der dankbare, langanhaltende Beifall löste die Spannung, von der die Zuschauer ergriffen waren und die zeigte, daß dem Autor Ivo Braak vor fast 40 Jahren mit dem Stück „Tein Jahr un dree Daag" ein Werk gelungen ist, daß bleibende Gültigkeit erlangen konnte und durch das hervorragende Spiel der Schleswiger Speeldeel zur Bewältigung einer düsteren Vergangenheit beitragen könnte.
Dithmarscher Landeszeitung