Amanita
"Amanita" - plattdeutsches
Theater kann auch ernst sein
Feinfühlige Inszenierung der Schleswiger Speeldeel
Bärbel Jöns, Britta Walter
Wesselburen (im) Die jüngste Theateraufführung der Schleswiger Speeldeel im Wesselburener Hebbelhaus war eine echte Überraschung: Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Dies war nicht zu erwarten, obwohl die Schauspieltruppe aus Schleswig seit Jahren gern gesehene Gäste in Wesselburen sind, wenn es um Komödien geht. Aber "Amanita" von Ingo Sax, ein problematisches Schauspiel und dann noch auf Platt? Wat schall dat warrn?
In seiner Begrüßung freute sich Bürgervorsteher Ferdinand Jans über das volle Haus. Die Stadt, die gemeinsam mit der Hebbel-Gesellschaft als Veranstalter auftrat, hatte als Dank für die ehrenamtliche Arbeit der örtlichen Vereine einen Teil der Eintrittskarten diesen zur Verfügung gestellt. Was sich dann auf der Bühne in künstlerischer und sprachlicher Form tat, kann nur als bestes Theater bezeichnet werden. Kein falscher Ton, keine Übertreibung, kein Leerlauf sondern Stimmigkeit, die überzeugte.
Die Bühne des Hebbelhauses zeigte sich als der genau passende Rahmen für das düstere Bühnenbild, in dessen Mittelpunkt ein "Altar" mit dem Bild des Vaters der trauernden, in sich versunkenen Tochter. Seit dem Tod des Vaters vor vier Jahren verharrt das junge Mädchen in Sprachlosigkeit und Aggressivität und reagiert nur auf den Namen "Amanita", die lateinische Bezeichnung für Knollenblätterpilz.
In der Titelrolle überzeugte Britta Walter durch ungeheure Konzentration und konnte so alle Schattierungen der krankhaften Wesensveränderung glaubhaft darstellen.
Anne Schmidt als Mutter zeigte ihr Mitleid mit der Tochter, fand aber keinen Zugang zu ihr, da sie zu stark mit sich selbst beschäftigt war. Erlösend zerriß sie das Bild ihres Mannes.
Die Gegensätze zwischen Theorie und Praxis, kamen bei dem Spiel von Bärbel Jöns als Psychologin, die ihren "Fall" behandelte und Kai Boysen, der instinktiv auf Grund seiner Beobachtungen als Bewacher, den Knoten löste, zutage.
Alle Darsteller spielten in diesem vom Autor hervorragend einfühlsam geschriebenen Stück, ihre "Hauptrollen". Das Publikum war fasziniert und dankte mit die Spannung auflösendem Beifall. Die Regie von Horst Seegebarth zeigte den erfahrenen Theaterfachmann und Liebhaber der niederdeutschen Sprache mit dem Beweis, daß bei plattdeutschen Stücken nicht immer gelacht werden muß.
Quelle: Dithmarscher Rundschau, 5.3.1996
“Amanita” - Ein starkes Stück
Mit “Amanita“ hat Ingo Sax für die niederdeutsch spielenden Bühnen ein hervorragend gebautes und durchdachtes Schauspiel für vier Personen geschrieben. Gerade in dieser Güte liegt aber auch die Schwierigkeit für alle Bühnen, die eventuell an eine Aufführung herangehen wollen. Nur mit wirklich gestandenen, in Dialog wie Mimik sicheren Spielern kann eine Aufführung vor dem Publikum bestehen. Denn die weitgehend unbekannte seelische Krankheit Mutismus und die Befreiung des Kranken aus der selbst gewollten Isolation von der Umwelt muß für den Zuschauer nicht nur verbal, sondern vor allem sichtbar deutlich gemacht werden.
Die Schleswiger Speeldeel hat uns zum Beginn des Landesverbandstages gezeigt, daß plattdeutsches Theater nicht platt sein muß, daß es nicht nur als Lachtheater existieren kann, aber auch, daß eine ernste Stückaussage nicht in penetranter Öligkeit überdie Rampe kleckern muß. Ein schwarzes Bühnenbild mit einem Altar, darauf eine Wodkaflasche vor dem Vaterbild ist nun wirklich nicht das, was man erwartet, wenn sich der Vorhang zu einem von einer “Speeldeel“ dargebotenen Stück öffnet. Aber was in dieser Düsternis geschah, ließ das fachkundige Publikum manchesmal mausestill werden. Die Versuche, die innere Abkapselung Amanitas zu durchbrechen, sei es berufsmäßig—profihaft durch die Psychologin (Bärbel Jöns) oder unbewußt—natürlich durch den Zivildienstleistenden (Kai Boysen) fesselten ebenso wie die in ihrer Unbeholfenheit zeitweilig anrührenden Ablenkungsversuche der Mutter (Anne Schmidt). Wenn Amanita (Britta Walter) sich aggressiv gegen die sie Bedrängenden wehrte oder gar nach langer Zeit der selbstauferlegten Stumrnheit wieder zu sprechen versuchte, gab es wohl keinen im Saal, der nicht gespannt oder ergriffen hinsah und hinhörte. Die geschickt eingestreuten “Lacher“ verhinderten jedoch, daß das Publikum in unendliche Trauer verfiel, obgleich die Story der Amanita an sich traurig genug ist.
Sehr starken Schlußapplaus gab es von den Kollegen für die vierAkteure; eingeschlossen in dieses Lob war Horst Seegebarths Regiearbeit. Damit wurde auch dem anwesenden Ingo Sax bezeugt, daß er seine ‘Amanita‘ zu Recht im Niederdeutschen angesiedelt hat, wenn auch zwischenzeitlich längst Übersetzungen in andere Sprachen und Dialekte (u.a. ins Schwäbische und Schwyzer Düütsch) erfolgt sind. Es ist eben ein starkes Stück!
Dieter Poll
Blick zur Bühne Nr. 46, Juli 1996
Psychokrimi begeisterte die Zuschauer
Viel Beifall für Speeldeel-Premiere “Amanita”
Gute Leistung der Schauspieler
Es kommt nicht oft vor, daß ein Theaterstück das Publikum “vom Stuhl reißen“ kann. Die Schleswiger Speeldeel hat es geschafft: Nach der Aufführung von Ingo Sax‘ Schauspiel “Amanita” im Stadttheater riß sie das Premierenpublikum zu einem Beifallssturm von den Sitzen. Das ist umso bemerkenswerter, weil es sich um eine ziemlich ernsthafte Sache handelte, nämlich um eine tief verletzte Seele.
Amanita (Britta Walter) hat sich aus Trauer um ihren toten Vater in eine Seelenkrankheit geflüchtet, die das Leben im Haus in eine düster- skurrile Atmosphäre stürzt, in die auch die Zuschauer sich hineingezogen fühlen. Das nur von wenig Licht erhellte, ganz schwarz gehaltene Bühnenbild drückt beklemmend die Stimmung aus—eine großartige Leistung von Dietrich Bronsert, der das Bühnenbild gestaltete. Den schwersten Part hatte wohl Britta Walter, wenn sie auch die ersten beiden Akte stumm bleiben mußte. Dafür war ihre verhaltene Körpersprache und die Mimik umso deutlicher. Eine Rolle, die sie mit all ihrer Persönlichkeit ausfüllte.
Auch Anne Schmidt, dem Schleswiger Publikum aus vielen anspruchsvollen Rollen bekannt, konnte in ihrem routinierten Spiel die Hilflosigkeit von Amanitas Mutter zum Ausdruck bringen. Sie weiß sich nicht anders zu helfen, als die Theologin und Psychologin Dr. Pagels ins Haus zu holen, die die Verkrustung um Amanitas Seele aufbrechen soll. Sie bringt sich auch einen Zivildienstleistenden mit.
Bärbel Jöns konnte die Psychologin überzeugend darstellen, besonders, als der Zivi die Wahrheit über einen geplanten Giftmord herausfindet. Die Fachfrau wird sehr viel stiller, als sie feststellen muß, daß Psychologie allein doch nicht immer genügt. Der Zivi, sehr glauhhaft und frisch dargestellt von Kai Boysen, kann da in seiner unbekümmerten Zuwendung an Amanita und mit seinem Bemühen um Aufklärung des Psychokrimis viel mehr bezwecken. Britta Walter und Kai Boysen hatten wohl den Hauptanteil zu tragen an dem hervorragenden Spiel des ganzen Ensembles, zu dem auch “das Toseggen“ von Margret Bronsert beitrug.
Speelbaas war Horst Seegeharth, der in vielen Probenstunden das Ensemble zu dieser Meisterleistung zurechtgefeilt hat. Wiederholung der Aufführung ist Sonntag, 25. Februar, 20 Uhr, im Stadttheater.
GERHARD EDENS
Schleswiger Nachrichten